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"Kontinuität und Wandel der deutschen Führungsschicht : Ergebnisse der Potsdamer Elitestudie 1995" ; Zusammenstellung der Vorträge des Symposions vom 11. Oktober 1996 an der Universität Potsdam / Primärforscher: Wilhelm Bürklin
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Ostdeutsche in der Elite.- Die blockierte DDR- Intelligenz?

Christian Welzel

Empirische Fragestellung

Die Besetzung hochrangiger öffentlicher Ämter durch ehemalige DDR- Bürger ist ein nach wie vor heiß umstrittenes Thema, dessen öffentliche Diskussion noch immer von Stereotypen dominiert wird. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise die verbreitete Ansicht zu erwähnen, wichtige öffentliche Ämter gerieten wieder in die Hände tradierter DDR- Seilschaften, wodurch die Bürgerbewegung um die Früchte ihrer Revolution betrogen werde. Abseits dieser normativ aufgeladenen Kritik bleibt es indes eine empirische Frage, ob überhaupt und wenn ja auf welche Gruppen der DDR- Gesellschaft sich das Rekrutierungsreservoir der ostdeutschen Elite mit dem Regimewechsel verlagert hat. Verfügen in der DDR- Gesellschaft privilegierte Gruppen immer noch über komparative Aufstiegsvorteile oder haben sie diese an früher benachteiligte Gruppen verloren?

Theoretische Relevanz

Von theoretischer Relevanz ist dieses empirische Problem im Rahmen der übergeordneten Frage nach den Auswirkungen demokratischer Regimewechsel auf die Verteilung der Aufstiegschancen in einer ehemals sozialistischen Gesellschaft. Noch allgemeiner gefaßt geht es um die Effekte institutioneller Umbrüche( Systemebene) auf die soziale Zusammensetzung der Elite. Damit ist eine klassische revolutions- und elitentheoretische Problematik thematisiert( vgl. Pareto 1901; Lasswell/ Lerner/ Rothwell 1952; Zapf 1965; Putnam 1977). Trotz der Besonderheit der Systemvereinigung stellt sich diese Problematik zumindest für die Ostdeutschen in der heutigen bundesrepublikanischen Elite mit den gleichen transformationstheoretischen Implikationen wie für andere postsozialistische Gesellschaften. Dabei impliziert die Frage nach Kontinuität oder Wandel des Rekrutierungsreservoirs von Eliten im Kontext eines Regimewechsels zwei Antwortmöglichkeiten, die sich als konkurrierende Hypothesen gegenüberstellen lassen.

Hypothesen

Die Reproduktionsthese

Nach der Reproduktionsthese kommt es im Zuge eines Regimewechsels zu keiner wesentlichen Verlagerung des Rekrutierungsreservoirs der Eliten, weil sich die Verteilung der komparativen Aufstiegschancen in einer Gesellschaft mit dem Regimewechsel reproduziere. Das heißt konkret: Gruppierungsmerkmale, die bereits vor dem Regimewechsel aufstiegsbegünstigend waren, bleiben dies auch nach danach. Solchermaßen ist ein personeller Austausch der Elite zwar nicht auszuschließen, wohl aber eine Veränderung ihrer sozialen Zusammensetzung.

Die Reproduktionsthese kann aus der konvergenztheoretischen Annahme begründet werden, daß moderne Gesellschaften unabhängig davon, ob sie kapitalistisch oder sozialistisch organisiert sind prinzipiell gleichen Entwicklungen unterlägen. Zu diesen Entwicklungen gehöre eine Zunahme komplexer analytischer und organisatorischer Aufgaben, was einen Bedeutungsgewinn wissenschaftlich fundierter managerieller und konzeptueller Kompetenzen im Erwerbsgefüge bedinge. Dadurch avanciere die wachsende Schicht der wissenschaftlichen Intelligenz zum Hauptrekrutierungspool der gesellschaftlichen Eliten( vgl. Lasswell/ Lerner 1965; Fleron 1969; Konrad/ Szelenyi 1978; Andorka 1993). Da dies grundsätzlich auch für sozialistische Gesellschaften gelte, sei mit dem Wechsel zu einem demokratischen Regime keine Veränderung der elitären Rekrutierungsbasis verbunden. Gesellschaftliche Gruppen, die schon vor dem Regimewechsel über aufstiegsrelevante Ressourcen verfügten, hätten auch nach dem Regimewechsel komparative