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"Kontinuität und Wandel der deutschen Führungsschicht : Ergebnisse der Potsdamer Elitestudie 1995" ; Zusammenstellung der Vorträge des Symposions vom 11. Oktober 1996 an der Universität Potsdam / Primärforscher: Wilhelm Bürklin
Entstehung
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67
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Vom repräsentativen zum plebiszitären Führungsprinzip. Eine neue Generation in der Führungsschicht? Wilhelm Bürklin

1. Einleitung und Fragestellung.

Die mächtigsten Revolutionen vollziehen sich geräuschlos durch den Austausch der Elite im Generationswechsel. Auf diese Charakteristik des generationalen Wertewandels hat erstmals Walter Bagehot in der Einleitung der 1872 erschienenen zweiten Auflage seiner"English Constitution" hingewiesen. Nichts habe einen nachhaltigeren Einfluß auf den"Geist" einer Politik als der permanente Ersatz der alten politischen Elite durch die Mitglieder der jüngeren Generation. Die Theorie des generationalen Wertewandels hat seither eine Reihe bedeutsamer Konkretisierungen erfahren, die von Karl Mannheim(1928) bis Ronald Inglehart(1971/1989) reichen. Für besonderes Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang die These Ingleharts, daß der Wertewandel in der Nachkriegszeit wegen des beispiellosen wirtschaftlichen Wohlstandes einer Revolution gleichkommen werde..

Stehen wir heute vor diesem Generationswandel in der deutschen Elite? Ausgangspunkt der neueren Diskussion war die Studentenbewegung der 60er Jahre(Barnes,Kaase et al 1979). Sie konfrontierte das Establishment mit den neuen Werten der Nachkriegsgeneration. Heute, 30 Jahre später, beginnt die von der Studentenbewegung geprägte Generation, die wichtigsten Führungspositionen im einst bekämpften System zu übernehmen. Damit scheint der von Rudi Dutschke propagierte"lange Marsch durch die Institutionen" vor seinem Ziel zu stehen.

Was hat die Idee des langen Marsches mit der Generationsthese zu tun? Sie geht wie die Inglehartsche Theorie von der Gültigkeit der Generationsthese aus. Hinter der Aufforderung zum langen Marsch stand die Erwartung der Studentenbewegung, daß es auf lange Sicht eher zum Ziel führe, das System im Sinne der sog. Doppelstrategie zu revolutionieren. Zum einen sollte der Kampf innerhalb der bestehenden Ordnung- als Partisan im Apparat- geführt werden. Flankierend dazu sollte ein Gegenmilieu aufgebaut werden, um die dennoch befürchtete Integration in das System und seine Rollenerwartungen zu verhindern(Langguth 1976).

Hat die Studentenbewegung dieses Ziel heute erreicht? Aus der automatischen Generationenabfolge kann diese These nicht abgeleitet werden. Von einem generationalen Wertewandel kann erst dann die Rede sein, wenn die grundlegenden Wertorientierungen, die diese Generationseinheit in ihrer formativen Jugendphase erwarb, auch in späteren Phasen des Lebenszyklus beibehalten hat.

Im Gegensatz zur Generationsthese steht die sog. situative Theorie des Wertewandels. Sie postuliert, daß ein Individuum- mit einer gewissen Verzögerung- seine Einstellungen und Wertorientierungen anpaßt, wenn sich seine berufliche oder soziale Situation verändert. Am Beispiel des Aufstiegs in eine Eliteposition wäre das der Übergang in einen höheren Sozialstatus, oder, wie es Karl Mannheim formulierte, der Übergang vom unterdrückten zum führenden Generationstyp.

Mit den Daten der Potsdamer Elitestudie 1995 können wir diese beiden konkurrierenden Theorien einem partiellen empirischen Test unterwerfen. Wir können darüber hinaus Antworten auf folgende Fragen geben: Wie weit ist der generationale Wandel der Führungsschicht heute fortgeschritten? In welchen Einstellungen und Wertorientierungen unterscheiden sich die neuen Generationstypen von den Kriegs- und Vorkriegsgenerationen? Hat die Protestbewegung auch in der deutschen Führungsschicht eine generationale Spaltung entstehen lassen, die die traditionell sektoral bestimmten Interessenkonflikte überlagert?