Ich möchte im folgenden vier Thesen entwickeln:
1. Aus der Protest- und Wohlstandsgeneration kommt heute die Mehrheit der deutschen Führungsschicht. Diese neuen Generationstypen unterscheiden sich in ihren Einstellungen charakteristisch von der Kriegs- und Vorkriegsgeneration.
2. Die neue Führungsgeneration vertritt sowohl auf der Wert- als auch auf der Normdimension der Politik unterschiedliche Konzeptionen: Auf der Wertdimension steht sie den politischen Zielen der Neuen Politik näher, auf der Normdimension dem Konzept einer plebiszitären, alle gesellschaftlichen Sektoren umfassenden Demokratie. Dieses Konzept steht in einem Spannungsverhältnis zum Modell der repräsentativen Demokratie.
3. Die Zugehörigkeit zu einem Elitesektor prägt die Wertorientierungen stärker als die Generationszugehörigkeit. Neben den sektoralen Unterschieden verstärken eine längere Amtsdauer und eine höhere Elitenposition eher traditionelle Einstellungen. Beide Ergebnisse sprechen für die Geltung der situativen Theorie des Wertewandels.
4. Die Einstellungsunterschiede zwischen den verschiedenen Sektoren erklären sich darüber hinaus auch durch ihre Zusammensetzung: In Sektoren mit Jüngeren Führungskräften, die kürzere Zeit im Amt sind und sich auf einer mittleren oder unteren Führungsposition befinden, findet auch die plebiszitäre Demokratiekonzeption größere Zustimmung. Die sektoralen Differenzen erweisen sich damit zum Teil ebenfalls als lebenszyklischer Konflikt, d.h. als Konflikt zwischen Führungsgruppen mit unterschiedlich starker Rollensozialisation.
Diese Ergebnisse deuten auf massive Lebenszykluseffekte von Wertorientierungen in der deutschen Führungsschicht hin, die den generationalen Wertewandel zum Teil konterkarrieren.
2. Die Wohlstandsgeneration und der Wandel der Demokratievorstellung
Das Konzept der politischen Generationen basiert auf der Annahme, daß ein Individuum seine politische Prägung zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr erhält. Als bester Prädiktor hat sich dabei das 15. Lebensjahr erwiesen(Dalton 1977). Auf der Grundlage dieser Generationseinteilung lassen sich für die Bundesrepublik sechs historische Phasen unterscheiden, die generationsprägende Kraft besaßen(Baker/Dalton/Hildebrandt 1981):
das Kaiserreich(bis 1918)
die Weimarer Republik(1919-32)
das Dritte Reich(1933-45)
die unmittelbare Nachkriegszeit(1946-55)
die Ära des Wohlstands im"Wirschaftswunder"(1955-65) die Ära politischen Protests nach 1966.
Nach dieser Generationseinteilung hat heute eine Mehrheit von 51,5 Prozent der deutschen Führungsschicht ihre politische Prägung in der Zeit des deutschen"Wirtschaftswunders" nach 1956 oder sogar erst in der Protestbewegung nach 1966 erhalten(Tabelle 1). Weitere 40 Prozent gehören der Nachkriegsgeneration an.