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"Kontinuität und Wandel der deutschen Führungsschicht : Ergebnisse der Potsdamer Elitestudie 1995" ; Zusammenstellung der Vorträge des Symposions vom 11. Oktober 1996 an der Universität Potsdam / Primärforscher: Wilhelm Bürklin
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Tabelle 1: Politische Generationen in der deutschen Elite 1968-1995

Jahr der Elitestudie

1968 1972[1881 86 Politische Generation

Protest(1966-) Wohlstand(56-65) Nachkrieg(46-55)

3. Reich(33-45) Weimar(19-32) Kaiserreich(-1918)

Summe(N) 100(808) 100(1825) 100(1744) 100(2341)

Die im Dritten Reich sozialisierte Generation, die noch bei der letzten Elitestudie von 1981 dominant vorherrschte(62%), hat heute ihre Führungsrolle eingebüßt. Damit verfügt Deutschland zum ersten Mal über eine Führungsschicht, die ihre Wertorientierungen überwiegend in einer demokratischen Ordnung erhalten hat. Die Generationserfahrung von Krieg und materieller Not hat die Mehrheit der Elite nicht mehr erfahren.

Diese prägenden Sozialisationserfahrungen spiegeln sich auch in den veränderten Einstellungen der Wohlstandsgeneration in der Führungsschicht wieder. Dabei lassen sich drei Trends feststellen, die mit vergleichbaren Entwicklungen in der Bevölkerung parallel laufen:

Die erste generationale Trennungslinie liegt auf der Wertdimension der Politik und bezeichnet den auch in der Bevölkerung feststellbaren Trend zu den Themen der sog."Neuen Politik" (Baker/Dalton/Hildebrandt 1981) bzw. des Postmaterialismus(Inglehart 1971). Für die Angehörigen der Protest- und Wohlstandsgeneration haben die meisten der früher dominanten materiellen und sicherheitsbezogenen Ziele an Bedeutung verloren. Hier wirkt sich die fehlende Generationserfahrung des Krieges und der militärischen und wirtschaftlichen Unsicherheit der unmittelbaren Nachkriegszeit aus. Demgegenüber sind für sie die nicht-materiellen Ziele, wie etwa der Schutz von- Minderheiten und der Umwelt, wichtiger geworden. Für die neuen Themen scheint der Übergang von den Vor- zu den Nachkriegsgenerationen tatsächlich eine Wasserscheide darzustellen. Diese Differenzierung läßt sich auch mit dem unter Kritik geratenen Inglehart-Index quantifizieren: Nach seiner Klassifizierung sind knapp ein Drittel(28%) der Vorkriegsgeneration gegenüber zwei Dritteln(65%) der Protestgeneration zur Gruppe der Postmaterialisten zu rechnen.

Die zweite Trennungslinie bezieht sich auf die Prozeß- bzw. Normdimension der Politik. Sie betrifft die veränderte Bedeutung politischer Beteiligungsrechte, die sich zu einem alternativen Konzept der plebiszitären, partizipatorischen Demokratie verdichten.

Dazu ist im einzelnen zu rechnen(Schaubild 1, Anhang):

- eine Präferenz für mehr Mitwirkungsrechte der Bürger an Regierungsentscheidungen: 17% der Vorkriegs-, aber 43% der Protestgeneration gibt diesem Ziel Priorität,

- eine Präferenz für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden als notwendige Ergänzung der repräsentativen Demokratie(39 vs. 78 Prozent Zustimmung),

- eine Präferenz für die Forderung, Demokratie nicht nur auf den politischen Bereich zu beschränken, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen zu realisieren(60 vs. 83% Zustimmung) sowie die politische Mitwirkung der Bevölkerung nicht nur auf Wahlen zu beschränken(86 vs. 93%),

- die Ablehnung einer traditionellen Staatsvorstellung, einer starken politischen Führung und des Vorrangs von Ruhe und öffentlicher Ordnung: 56 Prozent der Vorkriegsgeneration gegenüber 17 Prozent der Protestgeneration ist bereit, bei Gefährdung der öffentlichen Ordnung das Streik- und