Tabelle 8: Zusammenhang zwischen Issue-Prioritäten und Erstplazierung der Indikatoren‘ für postmaterialistische Werte in ost- und westdeutscher Bevölkerung(Tau b)
___ MEHR BÜRGEREINFLUß___|___ MEINUNGSFREIHEIT Westdeutsche| Ostdeutsche|| Westdeutsche POLITIKZIELE Bevölkerung Bevölkerung Bevölkerung p
ÖKONOMISCHE (3) Standortsicherung 4) Abbau Staatsverschuldung
SOZIALE (1) Gleiche Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland (2) Abbau Arbeitslosigkeit
(7) Sicherung Sozialstaat 9) Sozialmißbrauch verhindern
KULTURELL-TRANSNATIONALE (5) Europäische Vereinigung 10) Ausländerintegration
INNERE SICHERHEIT VORSORGENDE (8) Kriminalität bekämpfen 11) Extremismus unterbinden
Unabhängige Item-Einstufung(Rating) auf einer Wichtigkeitsskala von„ganz unwichtig= 1 bis 7= sehr wichtig“. " Codierung: niedriger Wert(1)= 4. Rang- hoher Wert(4)= 1. Rang.
Fünftens: Die meisten hier vorgelegten Ergebnisse sprechen für die Sozialisationshypothese. Positionsinhaber und Bevölkerung Oostdeutscher Herkunft haben im Unterschied zu ihrer Vergleichsgruppe im Westen gemeinsam, daß sie individuelle Freiheitsrechte kollektiven Partizipationsrechten nachordnen und ihre Werthaltungen nur unzureichend mit den Konstrukten Materialismus und Postmaterialismus beschrieben werden können. Die in der früheren DDR sozialisierten Werte der Gleichheit, Gerechtigkeit und umfassenden Sicherheit sind im Werthaushalt von ostdeutscher Führungsschicht und Bevölkerung nach wie vor feste Bestandteile und die wichtigsten Evaluations- und Selektionskriterien für Problemwahrnehmung und Einstellungsbildung.
Trotz ihrer grundsätzlichen Übereinstimmung in der Präferenz für progressive Werte kann von einer Integration ost- und westdeutscher Eliten nur vorsichtig die Rede sein. Grundsätzliche Unterschiede manifestieren sich in der Prioritätensetzung politischer Werte. Selbst wenn ein Struktureffekt in der Befragtengruppe ostdeutscher Positionsinhaber eingeräumt wird, die sich überproportional im Sektor Politik plazieren, entspricht die unterschiedliche Demokratieauffassung kaum noch dem 1981 in der „Mannheimer Elitestudie" festgestellten Grundkonsens der Eliten über ein repräsentatives, freiheitlichliberales Demokratiemodell. Denn die Verknüpfung radikaldemokratischer Elemente mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit und sozialistischen Egalitätsidealen in den Werthaltungen der befragten ostdeutschen Eliten stellen diesen Grundkonsens in Frage.
Dennoch implizieren die dargelegten Befunde neben Skepsis auch Optimismus. Zu den wichtigsten Akteuren im kulturellen Vereinigungsprozeß scheinen sich die Positionsinhaber ostdeutscher Herkunft zu entwickeln, denen eine besondere Integrationsleistung abverlangt wird. In der Summe teilen sie die avantgardistischen Werteaffinitäten westdeutscher Positionsinhaber, ohne jedoch die von der ostdeutschen Bevölkerung als positiv erlebten Leistungen und Werte des sozialistischen DDRSystems völlig zu negieren. Am dringendsten stellt sich den ostdeutschen Eliten die Aufgabe, zwischen den Ansprüchen und Forderungen, die aus diesen Werthaltungen resultieren, und den demokratischen Strukturen und marktwirtschaftlichen Mechanismen in der Bundesrepublik zu vermitteln. Daraus leitet sich die Forderung ab, Ostdeutsche bei der Rekrutierung in Elitepositionen verstärkt zu berücksichtigen und ihnen auch Zugang in gesellschaftliche Elite-Sektoren zu ermöglichen, in denen sie bislang gar nicht oder unterrepräsentiert sind.