II. Die Krankheit.
frisch gewesen. Er selbst berichtet in seinen Werken wiederholt über seine„Genesung“, doch muss man diese Aeusserungen natürlich mit Vorsicht auffassen. Insbesondere schreibt er seinem Willen mehr zu, als man glauben kann. Er legt grosses Gewicht auf die klimatischen Verhältnisse und hat dabei im Grossen und Ganzen Recht, wenn er auch übertreibt(„Naumburg, Schulpforta, Thüringen überhaupt, Bonn, Leipzig, Basel— eben so viele Unglücksorte für meine Physiologie“. Er schätzte besonders die Orte mit reiner Luft und vielem Sonnenschein: Silsmaria und Nizza rühmt er am meisten, und in der That befinden sich da Migräneleidende auffallend gut. Die Angabe, dass er in der Regel trotz des Schmerzes habe nachdenken können, ist durchaus glaubhaft:„Mitten in Martern, die ein ununterbrochener dreitägiger Gehirnschmerz sammt mühseligem Schleimerbrechen mit sich bringt, besass ich eine Dialektiker-Klarheit par excellence und dachte Dinge sehr kaltblütig durch, zu denen ich in gesunderen Verhältnissen nicht Kletterer, nicht raffinirt, nicht kalt genug bin.“ Dass er etwas dabei erklettert habe, was er in gesunden Tagen nicht erklettern konnte, brauchen wir nicht gerade zu glauben: in solchen Dingen täuscht man sich. Seine Lebensweise war, wenigstens zeitweise, äusserst einfach: er schreibt an Schmeitzner, dass er in Genua monatlich nicht mehr als sechzig Mark brauche,„Alles, auch das Zufälligste eingerechnet.“ Dabei muss man sich natürlich im höchsten Grade einschränken, und Nietzsches äussere Erscheinung soll zuweilen etwas verwahrlost gewesen sein.
