2. Die Entwickelung der progressiven Paralyse.
Urtheil(l. c., Brief an H. Gelzer vom 6. Juni 1878): „Welche Abgründe unnatürlicher, sich selbst überschlagender, alles Ideale vernichtender Grübelei in diesem widerwärtigen neuesten Buch von Nietzsche! Er ist unheilbar krank. Begierig bin ich, zu hören, wie Rohde über diese neueste Entwickelungsphase seines unglücklichen Freundes denkt.“ Wir können jetzt die Sache unbefangener betrachten. Wir wissen jetzt, dass der Umschwung gar nicht so unvermittelt war, wie es 1878 aussah, dass sich die positivistischen Neigungen ganz allmählich in Nietzsche entwickelt hatten(vergl. p. 34). Eine merkwürdige Stelle findet sich in einem Briefe von 1866; Nietzsche schildert da ein Gewitter und den Aufschwung, den er. dabei empfunden habe:„Was war mir der Mensch und sein unruhiges Wollen! Was war mir das ewige ‚Du sollst‘, ‚Du sollst nicht. Wie anders der Blitz, der Sturm, der Hagel, freie Mächte, ohne Ethik!“ Die Aufzeichnungen, aus denen das„Allzumenschliche“ entstanden ist, haben schon 1875 begonnen; während er Wagner bejubelte, schrieb Nietzsche das nieder, was ihn für immer von Wagner trennte. An sich war der Uebergang von Schwärmerei zur Nüchternheit durchaus berechtigt: da ich ein Mann ward, that ich ab, was kindisch war. Nur machte Nietzsches maasslose Natur einen ruhigen Uebergang unmöglich. Hatte er die Begeisterung in’s Extrem getrieben, so trieb er nun den Skepticismus in’s Extrem; verliess er seinen Standpunkt, so sollte es überhaupt nichts Festes mehr geben; war früher die kühle Erkenntniss
