II. Die Krankheit.
zu kurz gekommen, so sollte nun gar nichts ausser ihr gelten. Auch über den Inhalt des neuen Buches denken wir jetzt kühler. Wir sind abgehärteter als die Leser von 1878 und nehmen die Sache nicht allzu tragisch. Gewiss ist es richtig, dass es vielfach an der wünschenswerthen Klarheit mangelt, dass Widersprüche vorkommen, dass Vieles falsch, oder schief, oder schon von Anderen ausgesprochen ist, aber andererseits steckt doch viel Scharfsinn in dem Buche, manche feine Bemerkung findet sich, und auch das schon Bekannte hat eine eigenartige Form. Von Geisteskrankheit vermögen wir nichts zu entdecken.) Charakteristisch und verhängnissvoll war eins: die Form. Zum Aphorismus wurde Nietzsche durch seine Natur gedrängt, und durch ihn wurde Nietzsche mehr und mehr verlockt, dem Fehlerhaften in seiner Natur Raum zu gönnen, Der Aphorismus ist für Jeden gefährlich, für Nietzsche war er gewissermaassen die Gefahr schlechtweg. Thatsächlich ist Nietzsche trotz seiner späteren Versuche, sich zusammenzufassen, nie wieder von ihm losgekommen, er ist sozusagen ein Sklave des Aphorismus geworden. Er hat das wahrscheinlich auch selbst gewusst und hat deshalb den Aphorismus laut gepriesen, hat sich stolz auf seine Meisterschaft darin gezeigt und erklärt, diese Manier wäre gerade die beste. Seine Verehrer haben ihm natürlich Recht gegeben, aber das
1) J. Burckhardt hat das„Allzumenschliche“ das„souveräne Buch“ genannt. Das kann freilich auch heissen: Das Buch, das
/ sich souverän vorkommt.
