Teil eines Werkes 
Bd. 5 (1904) Nietzsche : mit einem Titelbilde / von P. J. Möbius
Entstehung
Seite
93
Einzelbild herunterladen

2. Die Entwickelung der progressiven Paralyse.

ist Belletristen-Anschauung: Für einen Feuilletonisten mag der Aphorismus recht gut sein, für einen ernst­haften Denker, dem nichts mehr am Herzen liegen muss, als der Zusammenhang seiner Gedanken, und der auf Stilisten-Kunststücke nichts giebt, taugt er gar nichts. Alle Uebel, die in Nietzsches Maasslosig­keit steckten, brachte die abgerissene Manier zum Wach­sen: Ungeduld, Unstetigkeit, Einseitigkeit, Hochmuth und so weiter. Einzelne Gedanken im Sprunge packen und an sich reissen, ohne Rücksicht auf Früheres und Späteres, mit Verachtung für Definitionen, Beweisführung, Einordnung, dies raubthierhafte Verfahren musste für Nietzsche die grösste Verführung sein und die grösste Gefahr. Die Lebensweise Nietzsches förderte diese Manier in unheilvoller Weise. Wohl Jeder wird die Erfahrung gemacht haben, dass man auf Reisen, wo die früheren Zusammenhänge gestört sind, und durch den Wechsel immer neue Anregungen gegeben werden, ganz unwillkürlich zur Aphorismen-Bildung kommt, dass die äussere Unstetigkeit die innere mit sich bringt. Nietzsche war schon, ehe er seinen festen Wohnsitz aufgab, gewöhnt, in Bädern und Sommerfrischen auf die Gedankenjagd zu gehen; natürlich musste später das desultorische Wesen mehr. und mehr überhand­nehmen. Anfänglich glich Nietzsche wohl einem Na­turforscher im Urwalde. Dieser nimmt, was ihm unter die Hand kommt, soviel wie möglich, immer im Ge­danken, er werde zu Hause die reiche Beute ordnen und bearbeiten. Auch Nietzsche hatte, als er die ver­schiedenartigsten Gedanken abwürgte und aufhäufte,