II. Die Krankheit.
habe ich mir ein Urtheil darüber zu bilden gesucht, wann in seinem Denken und in seinen Schriften ein Anormales zu Tage tritt. Zur Beantwortung dieser Frage schien mir nur ein Weg offen zu stehen: ich habe daraufhin seine Werke in chronologischer Reihenfolge Zeile für Zeile durchgelesen und da ist mir allerdings nicht allmählich, sondern an einem bestimmten Punkt plötzlich eine grosse Veränderung entgegengetreten, in Ausdrucksweise und Stil, vor allem in den schwerfälliger werdenden Perioden und den vielen Schachtelungen, in Gedankenverbindungen und Bildern, in Ideenassociationen und Wortbildungen, in Stimmung und Ton der Polemik empfand ich es wie einen Choc: da musste es sein, von da ab ist Nietzsche ein anderer, vorher war er gesund, jetzt ist er überreizt, anormal und krank. Aber es klafft hier zunächst auch ein Zwischenraum von mehreren Jahren: die vier ersten Bücher der„Fröhlichen Wissenschaft“ stammen aus dem Jahre 1882, in ihnen ist noch alles in Ordnung; das fünfte Buch ist 1886 hinzugekommen, hier ist Nietzsche krank. Danach lässt sich das dazwischen Liegende bestimmen und sagen, dass auch die 1885 entstandene Schrift„Jenseits von Gut und Böse“ ihrem Stil nach der anormalen Zeit zuzuweisen ist; die Erkrankung fällt also in die Periode zwischen 1882 und 1885, in sie fällt aber auch die Entstehung oder richtiger der schriftstellerische Abschluss des Zarathustra; somit steht dieser so, wie er uns jetzt vorliegt, auf der Schwelle zwischen Gesundheit und Krankheit, und wirklich finden sich meinem Sprach- und Stilgefühl