Teil eines Werkes 
Bd. 5 (1904) Nietzsche : mit einem Titelbilde / von P. J. Möbius
Entstehung
Seite
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2. Die Entwickelung der progressiven Paralyse.

7 er doch danach. Mit dieser zarten Verletzlichkeit seiner Seele auch noch während der dunklen schlaflosen Nacht alle Leiden und Vernachlässigungen doppelt zu fühlen, war zu schwer. So schreibt er gegen Ende des Jahres 1884 von einem unangenehmen Vorkomm­nisse: Es hat mich sehr peinlich berührt! Leider bin ich dadurch wieder erkrankt und nehme das alte Mit­tel, und dann hasse ich alle Menschen, die ich je­mals kennen lernte, unsäglich, mich eingerechnet. Ich schlafe gut, aber es folgt darauf Menschenhass und Reue, und ich bin doch sonst der Mensch der wohl­wollendsten Gesinnung. Natürlich möchte man gern genauer wissen, wie lange, wie oft, wie viel Chloral­hydrat Nietzsche genommen hat. Frau Dr. Förster konnte mir nichts Weiteres sagen. Herrn Dr. Gutjahr hat Nietzsches Mutter nur erzählt, Nietzsche habe sich das Mittel pfundweise gekauft undsehr viel genom­men. Die Wirkungen des chronischen Chloral-Ge­brauches sind individuell so verschieden), dass sehr

1 Lewin, L., Die Nebenwirkungen der Arzneimittel. 3. Auf­lage. Berlin 1899. p. 137: Der gewohnheitsmässige Gebrauch des Chloralhydrats.

Die Geisteskräfte werden geschwächt, so dass das Beneh­men mancher dieser Individuen kindisch und dumm wird. Ihr Gedächtniss leidet und in vorgeschrittenen Stadien werden sie körperlich und geistig leistungsunfähig. Vielfach drängt sich eine hochgradige Nervosität in den Vordergrund. Der Kranke be­findet sich in fortwährender Hast und Unruhe, die ihn keine Minute auf derselben Stelle lässt. Zu einer ausgebildeten Geistes­krankheit ist bei solchen Menschen nur ein kleiner Schritt. So sah man bei manchem Chloralisten Tobsuchtzustände, Delirien und Hallucinationen. Aber auch melancholische Erkrankungs­

Möbius, Werke V.