Teil eines Werkes 
Bd. 5 (1904) Nietzsche : mit einem Titelbilde / von P. J. Möbius
Entstehung
Seite
139
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2. Die Entwickelung der progressiven Paralyse.

psychologisch falsch, aber alles ist durchweg geistvoll, und im Einzelnen ist vieles richtig. Auch die Stellen, bei denen man den Kopf am meisten schüttelt, sind noch als Schrullen oder Uebertreibungen aus Ueber­hitzung beim Schreiben zu deuten. Das Decretiren in vorhistorischen Dingen findet man auch bei ande­ren Schriftstellern, und der Mangel an historischer Ge­nauigkeit war Nietzsche wohl immer eigen. Auch vom Mangel an Verständniss für Familie und Kind gilt das. Verblüffend ist die Stelle über die Judenrache: die Kreuzigung Jesu wardie geheime schwarze Kunst einer wahrhaft grossen Politik der Rache, einer weit­sichtigen, unterirdischen, langsam greifenden und voraus­rechnenden Rache. Im Grunde hat Nietzsche wohl nur sagen wollen, wenn ein jüdischer Prophet sein Volk an den Abendländern hätte rächen wollen, so hätte er nichts Klügeres thun können, als. Absurd ist die Behauptung, das jetzige Misstrauen gegen die Deut­schen[das heisst seit 1870] gehe auf das Wüthen der blonden germanischen Bestie im Alterthume zurück, sei ein Nachschlag des unauslöschlichen Entsetzens darüber. Aber immer, wenn Nietzsche gegen die Deut­schen spricht, gleitet er aus. Der affectirte Deutschen­hass ist wohl auch an der bombastischen Verherrlichung Napoleons schuld, wobei Nietzsche ganz vergisst, dass sein Urbild der Gesundheit epileptisch war. Auf p. 327 wird Subject und Substanz verwechselt, aber auch auf so etwas muss man bei Nietzsche immer gefasst sein. Das Allerverkehrteste ist die Lehre vom schlech­ten Gewissen, aber auch sie mag noch als Schrulle