Teil eines Werkes 
Bd. 5 (1904) Nietzsche : mit einem Titelbilde / von P. J. Möbius
Entstehung
Seite
154
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II. Die Krankheit.

werke sollten zusammenhängend die Ergebnisse, zu denen Nietzsche sein Denken in den letzten Jahren geführt hatte, dargestellt werden. Das Material zum Werke stammt aus der Zeit der Remission; was im Jahre 1888 hinzugekommen ist, ist Zuthat. So erklärt es sich, dass derAntichrist trotz alles Krankhaften nichts weniger als ein Product der Krankheit ist. Es war Nietzsche gelungen, ein Schema zu finden, das Ordnung in seine Gedanken brachte: Gut ist das auf­steigende, schlecht ist das absteigende Leben, und weil das Leben Wille zur Macht ist, so ist alles gut, was das Gefühl der Macht vermehrt, die Sphäre des Ichs vergrössert, schlecht alles, was aus der Schwäche stammt. Das klingt in seiner Einfachheit sehr ver­führerisch, und gerade für Nietzsches Eigenart musste ein solches Prokrustes-Bett willkommen sein. Aber etwas Pathologisches im engeren Sinne ist nicht dabei. Vielmehr rückt manches, das recht pathologisch an­muthet, in Hinsicht auf das Schema in ein günstigeres Licht. Wenn Nietzsche z. B. fragt: Warum Wahrheit? Warum nicht lieber Unwahrheit?, so erklärt sich das dadurch, dass auch der Werth der Meinungen nur an der Steigerung der Macht gemessen werden kann, dass eine kraftsteigernde Unwahrheit mehr Werth hat als eine niederdrückende Wahrheit. Freilich zieht Nietzsche nicht die Folgerung, dass diese Lehre und der von ihm verspotteteBeweis der Kraft dasselbe sind, dass jeder feste Glaube mehr nütze ist als sein eigener wüster Skepticismus und seineWirklichkeitstrompeterei. Als Symptome der auf Lebensschwäche beruhenden Ent­