II. Die Krankheit.
sonst sich bei Nietzsche während der Entwickelung der Gehirnkrankheit keine Abnahme der intellectuellen Fähigkeiten im engeren Sinne zeigt, die geistige Thätigkeit mehr indirect, dass heisst durch den Wegfall von Gefühlen oder durch falsche Gefühle, geschädigt wird, so tritt doch im Mangel an zusammenfassender Kraft, an Uebersicht ein intellectuelles Minus zu Tage. Freilich ist nicht zu verkennen, dass Nietzsches ursprüngliche Geistesart dem Uebel Vorschub leistete, insofern als die Einseitigkeit und die Neigung zum sprunghaften Denken, die ihm immer eigen waren, im Grunde auch einen Mangel an Zügelkraft voraussetzen. Jedoch häufen sich die Widersprüche in den späteren Schriften so, das Unvermögen, die Consequenzen der Sätze zu übersehen, wird so deutlich, dass man ohne die Annahme besonderer paralytischer Veränderungen kaum auskommen wird. Diese Bemerkungen hätte ich schon früher machen können, ich mache sie aber hier, weil die Sache beim„Antichrist“ am allerdeutlichsten ausgesprochen ist. Unter dem Einflusse der Gehirnkrankheit ist allmählich eine Karrikatur des ursprünglichen Nietzsche entstanden. Der„Antichrist“ ist einer„unzeitgemässen Betrachtung“ viel ähnlicher, als es eine der Aphorismus-Schriften ist. Auch hier Ein grosser Zielgedanke, auch hier ein durchgehender leidenschaftlicher Schwung, und doch welche Gegensätze! Dort wie hier glaubt man einen rauschartigen Zustand wahrzunehmen, aber dort hört man einen durch Wein erregten Jüngling, hier einen zeternden Schnapstrinker. Wenn Gottfried Keller den Aufsatz