Teil eines Werkes 
Bd. 5 (1904) Nietzsche : mit einem Titelbilde / von P. J. Möbius
Entstehung
Seite
188
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Werfen wir noch einen Blick auf den Verlauf der Gehirnkrankheit. Ihre Dauer beträgt 19 Jahre, vom ersten Blitze des Zarathustra-Gedankens im August 1881 bis zum Tode im August 1900. Rechnet man die Zeit der Incubation dazu, oder, bei anderer Auf­fassung der Migräne-Anfälle, die Zeit der nur körper­lichen Störungen, so haben wir von 1866 1900 34 Jahre, von 18701900 30 Jahre. Wenn sich jemand aus den Lehrbüchern der Psychiatrie, besonders aus älteren Lehrbüchern, über progressive Paralyse unterrichten will, so erfährt er, dass diese Krankheit in der Regel | drei bis vier Jahre dauere, und er wird danach eine Krankheit von 19 Jahren für sehr befremdlich halten, ja er wird schon über die lange Zeit zwischen dem grossen Anfalle und dem Tode(11*/, Jahre) erstaunen. Indessen, wenn auch in Nietzsches Falle der Verlauf langsamer war, als in vielen anderen, ähnliche Fälle sind nicht allzuselten. Man beginnt jetzt einzusehen, dass die paar Jahre der Lehrbücher nicht ausreichen. Es mag sein, dass früher rasch verlaufende Fälle häu­figer, sehr chronische seltener als jetzt waren, aber die Hauptsache ist wohl die, dass die vor dem Eintritte in die Irrenanstalt verlaufene Krankheitzeit unterschätzt worden ist. In der Anstalt verläuft oft sozusagen nur der fünfte Akt, die vier anderen sind draussen gespielt worden, aber es hat an Zuschauern gefehlt, denn die Angehörigen merken recht oft die Krankheit erst dann, wenn sie schon lange da ist. Warum die Krankheit einmal kurz und das andere Mal lang ist, das ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Vermuthungweise kann