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Mauern, wo die Dialektik ihre Netze ſpann, für Poeſie kein Raum war,“) weht in der Hagadah ein echt prophetiſcher Hauch. Sie bietet nämlich eine Fülle von Tröſtungen und Hoffnungen, um die Juden inmitten der traurigen Nacht des Druckes und der Verfolgung zu ermuthigen,„Die Aggadiſten haben gleichſam das Gold der prophetiſchen Lehre ausgedehnt, in Millionen Fäden zerſchnitten, um jedem Juden in jedem Winkel der Erde einen Hoffnungfaden auf ſeiner traurigen Wanderung mitzugeben. Als z. B. die alten Römer den Juden Paläſtinas einſt verwehrt hatten, Boten auszuſenden, um das Sichtbarwerden des Neumonds zu beobachten, wovon bekanntlich die Ordnung der Feſttage abhing, da ſandte Rab den Rabbi Chija nach En Tab und ſprach: Beſtimme dort den Neumond und ſende mir das Merkmal„David, der König von Israel lebt fort.“ Welch ein Troſt lag in dieſen ſcheinbar dunklen Zeichen. Wie nämlich der Mond das Wolkendunkel, das ihn umhüllt, durchbricht, aus demſelben ſich erhebt, immer wächſt und zunimmt, bis feine volle Scheibe die Nacht aufhellt, fo ſoll Israel trotz Druck und Verfolgung ſtets hoffen, daß ſein Licht am Himmel der Geſchichte glänzen werde“(Jellinek). Anderſeits iſt gerade Israel, wie kein Stamm in der Welt, dem ſteten Wechſel feiner Geſchicke unterworfen geweſen, wie der— Mond. Während die Halacha mit ihrer Caſuiſtik und ihrem endloſen Schulſtreit das Volk niemals anzog, fand die Hagada den größten Anklang, während die Halacha ihre ganze Auf—merkſamkeit auf die Werkheiligkeit, den Schwerpunkt des religiöſen Lebens in die allerſtrengſte Beobachtung der äußeren Satzungen, in die minutiöſeſte und peinlichſte Uebung der Ceremonien und Formen, kurz in das opus operatum u. z. im diametralen Gegenſatz zum prophetiſchen und ſelbſt moſaiſchen Judenthum verlegte; während nach halachiſcher Beſtimmung für geringfügige Vergehungen gegen das Speiſegeſetz und ſonſtige untergeordnete Vorſchriften eine Strafe von 39 Geißelhieben erfolgte, und derjenige, der eine ſolche Sünde zum dritten Mal beging in ein Loch geſperrt
) So haben wir z. B. ein ſchönes herrliches Feſt„Chanukka“, welches den Sieg der Geiſtes⸗ und Gewiſſensfreiheit gegen Despotismus und Tyrannei bedeutet. Doch vergebens ſuchen wir im Talmud Näheres über die Idee des Feſtes. Hingegen werden wir auf vielen langen Spalten in endlos bis zum Ueberdruß ſich hinziehenden Debatten aufs Eingehendſte und Peinlichſte belehrt(der SchulchanAruch, von einem der älteſten und gelehrteſten Rabbiner Deutſchlands der„papierne Papſt“ genannt, widmet dieſen hochwichtigen Sächelchen fünfzehn große Kapitel) über das Wie, Wo und Wann des Anzündens der Lichtlein, über die Beſchaffenheit des Oels und der Dochtarten, die verwendet werden dürfen und dergleichen Lappalien mehr.