hingen, das Wasser holten. Der Wasserspender hieß im Volksmund die „Plumpe“, so daß ich lange glaubte, diese Wortform sei die richtige. Zwar stand auf dem großväterlichen Hof auch eine „Plumpe“, aber deren Wasser war wegen der möglichen Versickerung aus den nahe benachbarten Pferdeställen nicht einwandfrei und jedenfalls zum Trinken ungeeignet.
Ging man zur anderen Schmalseite des Marktplatzes, vorbei an der sehr verlockenden Lüdecke’sehen Konditorei, wo es die beste Apfeltorte gab, die ich, wenigstens meiner Erinnerung nach, je gegessen habe, so stand man vor dem gewaltigen Roland, der von dem halben Dutzend seinesgleichen, die ich gesehen habe, entschieden der schönste ist. Als ich 1913 in mein jetziges Haus in Frankfurt einzog, schickte mir ein guter Freund aus Perleberg eine etwa 'A Meter hohe Gipsnachbildung, die viele Jahre auf einem Postament in meinem Arbeitszimmer gestanden hat. Jetzt ist sie, wie so vieles andere, durch die Kriegswirren vernichtet.
Hinter dem Roland war schräg einerseits das Geschäft von Friedrich Wilhelm Schultz, schräg andererseits von Wilhelm Friedrich Schultz, und zum Überfluß an der Ecke der Poststraße ein dritter Schulz, der nach einem seiner Hauptgeschäftsartikel allgemein Seifen-Schulz genannt wurde. An der anderen Ecke der Poststraße war die Apotheke. Sie war der eine Eckpfeiler der langen Häuserfront, deren anderer das Haus meines Großvaters war. Die Apotheke hieß Löwen-Apotheke; die beiden großen Anfangsbuchstaben waren einmal schön rot gewesen, aber im Laufe vieler Jahre so verblichen, daß aus weiterer Entfernung nur noch öwen- potheke zu lesen war. Von der Gegenecke des Marktplatzes ging es zum Garten meiner Großeltern. Schon der Weg war interessant. Links die Kobel’sche Brauerei, rechts das Wallgebäude, die alte Gänseburg, wo immer einige der damalsin Perleberg liegenden blauen Ulanen Posten standen, denn in ihm war das Arrestlokal. Dann kam die Brücke über die Stepenitz, eine von den etwa zwölf, die im Gebiete der Inselstadt den Fluß auf seinen beiden Armen oder auf dem wiedervereinigten Lauf überqueren.
Und nun, jenseits des Hägens, war der Garten selbst. Er bestand aus drei Terrassen, deren unterste nur Blumenbeete und ein Wasserbecken mit einem kleinen Springbrunnen enthielt, während die mittlere, zu der man durch eine Art aus niedrigen, knorrig gewachsenen Lindenstämmen gebildeten Laube aufstieg, und die obere Terrasse große Beete mit Erdbeeren und Gemüse aufwiesen. Der Mittelweg war von zahlreichen Stachelbeer- und Johannisbeerbüschen begleitet, von deren Früchten ich nach Belieben naschen durfte. Die untere Terrasse hatte ein hübsches, offenes Gartenhäuschen, und darin als besonderes Glanzstück bunte Fenster, durch die man die Welt je nach Wunsch rosenrot, himmelblau, strohgelb oder grasgrün sehen konnte. In dem Garten habe ich übrigens als Sekundaner meine ersten Rauchversuche gemacht, die mir nicht immer ganz gut bekommen sind. Ich habe dieses Laster trotz der Abmahnung meines nicht rauchenden
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