Issue 
(1956) 11
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hingen, das Wasser holten. Der Wasserspender hieß im Volksmund die Plumpe, so daß ich lange glaubte, diese Wortform sei die richtige. Zwar stand auf dem großväterlichen Hof auch einePlumpe, aber deren Wasser war wegen der möglichen Versickerung aus den nahe benachbarten Pferde­ställen nicht einwandfrei und jedenfalls zum Trinken ungeeignet.

Ging man zur anderen Schmalseite des Marktplatzes, vorbei an der sehr verlockenden Lüdeckesehen Konditorei, wo es die beste Apfeltorte gab, die ich, wenigstens meiner Erinnerung nach, je gegessen habe, so stand man vor dem gewaltigen Roland, der von dem halben Dutzend seines­gleichen, die ich gesehen habe, entschieden der schönste ist. Als ich 1913 in mein jetziges Haus in Frankfurt einzog, schickte mir ein guter Freund aus Perleberg eine etwa 'A Meter hohe Gipsnachbildung, die viele Jahre auf einem Postament in meinem Arbeitszimmer gestanden hat. Jetzt ist sie, wie so vieles andere, durch die Kriegswirren vernichtet.

Hinter dem Roland war schräg einerseits das Geschäft von Friedrich Wilhelm Schultz, schräg andererseits von Wilhelm Friedrich Schultz, und zum Überfluß an der Ecke der Poststraße ein dritter Schulz, der nach einem seiner Hauptgeschäftsartikel allgemein Seifen-Schulz genannt wurde. An der anderen Ecke der Poststraße war die Apotheke. Sie war der eine Eck­pfeiler der langen Häuserfront, deren anderer das Haus meines Großvaters war. Die Apotheke hieß Löwen-Apotheke; die beiden großen Anfangsbuch­staben waren einmal schön rot gewesen, aber im Laufe vieler Jahre so ver­blichen, daß aus weiterer Entfernung nur noch öwen- potheke zu lesen war. Von der Gegenecke des Marktplatzes ging es zum Garten meiner Groß­eltern. Schon der Weg war interessant. Links die Kobelsche Brauerei, rechts das Wallgebäude, die alte Gänseburg, wo immer einige der damals­in Perleberg liegenden blauen Ulanen Posten standen, denn in ihm war das Arrestlokal. Dann kam die Brücke über die Stepenitz, eine von den etwa zwölf, die im Gebiete der Inselstadt den Fluß auf seinen beiden Armen oder auf dem wiedervereinigten Lauf überqueren.

Und nun, jenseits des Hägens, war der Garten selbst. Er bestand aus drei Terrassen, deren unterste nur Blumenbeete und ein Wasserbecken mit einem kleinen Springbrunnen enthielt, während die mittlere, zu der man durch eine Art aus niedrigen, knorrig gewachsenen Lindenstämmen gebil­deten Laube aufstieg, und die obere Terrasse große Beete mit Erdbeeren und Gemüse aufwiesen. Der Mittelweg war von zahlreichen Stachelbeer- und Johannisbeerbüschen begleitet, von deren Früchten ich nach Belieben naschen durfte. Die untere Terrasse hatte ein hübsches, offenes Garten­häuschen, und darin als besonderes Glanzstück bunte Fenster, durch die man die Welt je nach Wunsch rosenrot, himmelblau, strohgelb oder gras­grün sehen konnte. In dem Garten habe ich übrigens als Sekundaner meine ersten Rauchversuche gemacht, die mir nicht immer ganz gut bekommen sind. Ich habe dieses Laster trotz der Abmahnung meines nicht rauchenden

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