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beherzigten sie nur gar zu sehr. In der allgemeinen Entartung des Brauchtums wurde auch in unserer Stadt der Quempas zum Klamauk, so daß ein Stadtverordnetenbeschluß von 1855 vier Stadtväter beauftragt, bei der Christmesse fortan für Ordnung zu sorgen. Ja selbst bis nach der letzten Jahrhundertwende gleicht das Quempas-Singen in Perleberg manchmal mehr einem Jokus als einer Andacht. Damals gab es als Scherzartikel in den Jahrmarktsbuden die sogenannten Nürnberger Scheren. Wenn man sie am Griff zusammendrückte, schnellten sie bis zu zwei Metern nach vorn. In der Quempas-Nacht saßen nun oben an der Emporenbrüstung der Kirche die Besitzer solcher „Schlangen“. Ihr Licht hatten sie vorn an der. Spitze befestigt. Wenn nun die Gemeinde den Chören mit dem Resonet antwortete, dann gröhlten sie förmlich den lateinischen Text und, dem Rhythmus der Melodie folgend, ließen sie jeweils ihre brennenden Kerzen bei jedem schweren Takt nach vorn sausen: „apparuit, apparuit . . Es muß ein phantastischer Anblick gewesen sein, wenn die Schlangen mit dem Lichtkopf durch die Luft flogen, aber von Feierlichkeit war keine Rede mehr. Die Lichter kleckerten, und das flüssige Stearin spritzte weit in das Kirchenschiff hinein. So sah man denn zum Schutz gegen diesen Regen die Leute unten mit dem aufgespannten Schirm hocken. Aus diesem ließ sich wohl der Balsam eher wieder herausbügeln als aus dem Haar oder gar aus dem damals üblichen hochgetürmten Hutgebäude. Einige der wackeren Perleberger Pfahlbürger aber, die als Originale und Spaßvögel den älteren unter uns heute noch in Erinnerung sind, stimmten sich für unseren traditionellen Quempas in der Form ein, daß sie sich am heiligen Abend zu Gröbler begaben, dem Gasthaus dicht an der Kirche, die Nacht dort durchzechten und dann in der Frühe unternehmungslustig und geschlossen in die Christmette marschierten. In dieser „Arena“ fochten sie gelegentlich auf ihre Art auch die Spannung mit der Kirchenobrigkeit aus. Als der junge Kantor, der bis in unsere Tage als Organist an St. Jacobi tätig war, damals dem Quempas wieder zu seiner Würde verhelfen wollte, kam es auf der Orgelempore fast zu Tätlichkeiten. Es sei hier bemerkt, daß der Kantor Sieger blieb. In den letzten Jahren war das Quempas-Singen wieder eine würdige Christnacht-Veranstaltung. Schade nur, daß die Gestelle, die sogenannten Pyramiden, die, auf den Chören angebracht, mit Tannengrün bekleidet und mit Kerzen besteckt waren, heute aus der weihnachtlich gestimmten Kirche verschwunden Sind.
Wie ihren Roland liebten die Perleberger durch alle Zeiten hindurch auch ihren Quempas sehr. Trotz der frühen Morgenstunde ist der weite Kir-
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