Heft 
(1.1.2023) 116
Seite
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84 Fontane Blätter 116 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Algerier in Spandau, Germanen in Paraguay. Georg Friedlaenders Aus den Kriegstagen 1870 und die Folgen Iwan-Michelangelo D´Aprile Georg Friedlaenders Erinnerungen an den Deutsch-Französischen Krieg, zuerst in einzelnen Folgen in der Vossischen Zeitung erschienen und Ende 1886 unter dem Titel Aus den Kriegstagen 1870 als Buch veröffentlicht, wur­den sowohl in der historischen Forschung zum Krieg als auch in der Fonta­ne-Forschung bislang weitestgehend ignoriert. 1 Zwar wird der Titel in den Literaturverzeichnissen einschlägiger Darstellungen aufgelistet, eine ein­gehendere Beschäftigung mit dem Werk selbst aber blieb meines Wissens bislang aus. Dies erscheint umso erstaunlicher, als das Buch durch den Konnex zu Fontane alles andere als unbekannt ist. Nicht nur von diesem, sondern auch von Ludwig Pietsch, der ebenfalls durch seine eigene einschlägige Kriegs­darstellung und zahlreiche Kritiken ein exzellenter Kenner der Materie war, wurde Friedlaenders Buch unter den seinerzeit massenweise erschienenen Kriegserinnerungen als durchaus außergewöhnlich und bemerkenswert empfohlen. Zumindest mündlich haben nach Aussage des Autors aber auch offenere und weitsichtigere Militärs aus der Führungsebene konzediert, dass das Buch»ohne Scheuklappen« geschrieben sei und im»Lehrerzim­mer des Cadettenhauses« nicht fehlen dürfe. 2 Darüber hinaus weisen Friedlaenders Erinnerungen ins Zentrum aktu­eller Interessen der historischen Forschung zum Krieg von 1870/71. So geht es in zahlreichen Publikationen, die zu dessen 150. Jahrestag erschienen sind, häufig um die Alltagserfahrungen von unterschiedlichen Bevölke­rungsgruppen und insbesondere auch die kolonialen Kontexte des Krieges sowie die spezifischen Erfahrungen von People of Colour, auf die zuletzt etwa Mareike König und Élise Julien aufmerksam gemacht haben. 3 Zahlrei­che aufschlussreiche Einzelbeobachtungen unter anderem zur Situation französischer Kriegsgefangener in Preußen, zur Rolle moderner Medien im Krieg von Feldpostkarten bis zu Gefangenenzeitschriften, oder auch zum Entstehungskontext von Adolph Menzels berühmten Skizzen französischer Gefangener machen Friedlaenders Buch in dieser Hinsicht zu einer reich-