Fontane und der»Bruderzwist im Hause Mann« Erler 131 Fontane, der»Bruderzwist im Hause Mann« und ein legendärer Exilverleger, der über Effi Briest promoviert hat. Vortrag Gotthard Erler » Er ist unser aller Vater« Es ist nicht viel, aber doch viel Bemerkenswertes, was wir von der Fontane-Rezeption der angehenden Schriftsteller Heinrich und Thomas Mann wissen, die ja ein Vierteljahrhundert lang Fontanes Zeitgenossen sind. Der neunzehnjährige Heinrich(Jahrgang 1871) nennt ihn seinen»Leibpoet unter den Neuen«, der»die Welt mit so jungen Augen ansieht, daß es eine Freude ist.« Bei diesem Bekenntnis muss ich immer an das Porträt denken, das sein wenig älterer Kollege Alfred Kerr 1895 von Fontane gezeichnet hat: ein etwas altfränkisch anmutender Typ mit unglaublich modernen Ansichten. Heinrich Mann behauptete, er habe»fast alles gelesen, was uns Fontane geschenkt« hat – aber in seiner geradezu explodierenden eigenen literarischen Produktion taucht der Autor dann freilich nicht mehr bei ihm auf. Bei Bruder Thomas(Jahrgang 1875) avancieren dagegen Fontanes Romane zur abendlichen Familienlektüre, und angeregt durch die seit 1905 sukzessive erscheinenden Briefe Fontanes, beschäftigt er sich in gedanklicher und handwerklicher Verwandtschaft intensiv mit dem Berliner Kollegen und veröffentlicht 1910 den im wörtlichen Sinn Grund-legenden Essay »Der alte Fontane«. Dieser Text vermittelt, finde ich, noch heute ein weithin stimmiges Bild des Menschen und des Künstlers. Und Bruder Heinrich hatte wohl nichts einzuwenden gegen die resümierende Bemerkung:»Er ist unser aller[literarischer, G. E.] Vater.« Während sich Heinrich Mann erst 1948 noch einmal zu Fontane äußert – freilich mit einem sehr gewichtigen Wort, ich komme bestimmt darauf zurück –, hat Thomas ihn als Leser und als Publizist nie aus den Augen verloren, und es blieb gültig, was er 1910 hatte drucken lassen:»Unendliche Liebe, unendliche Sympathie und Dankbarkeit« verbanden ihn mit ihm. Effi Briest hat er tatsächlich fünfmal gelesen und den weltliterarischen Standort des Buches mit der berühmten Formel festgeschrieben:»Eine Bibliothek
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(1.1.2023) 116
Seite
131
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