152 Fontane Blätter 116 Rezensionen Theodor Fontane: Nur in Freiheit wird man frei. Mit einem Vorwort von Iwan-Michelangelo D’Aprile. Köln: Kiepenheuer& Witsch 2023(edition paulskirche: Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten, Bd. 2). 192 S.€ 14,00 – E-Book€ 12,99 Zum 70. Jahrestag der Revolution von 1848/49, der mit dem Ende des Kaiserreichs und der Gründung der Weimarer Republik zusammenfiel, brachte der Leipziger Verlag Julius Klinkhardt unter dem Reihentitel»Deutsche Revolution« zwölf einschlägige Titel heraus, darunter Fontanes Erinnerungen an»Die Berliner Märztage«, wie sie in seiner 1898 erschienenen Autobiographie Von Zwanzig bis Dreißig niedergelegt sind. In seinem Vorwort konstatierte der Leipziger Germanist Hermann Michel, seinerzeit Chefredakteur des Konversationslexikons von Brockhaus, dass Fontane während des Revolutionsjahres zwar»mehrfach einen Anlauf nahm zum Zugreifen und Handeln«, letztlich aber»über Vorstufen und Versuche nicht herausgekommen« sei.»Die Worte, die er seiner Effi in den Mund gelegt hat, lassen sich auch auf ihn selbst anwenden: ›Ich kann eigentlich von vielem in meinem Leben sagen beinah.‹ So fern ihm jede Art von Weltflucht lag, tätige Hingabe an die Wirklichkeit war seine Sache nicht.« Distanziert von den Idealen Einheit und Freiheit, so Michel weiter, habe sich der Dichter jedoch ebenso wenig. Seine Bemerkung zum 25. Jahrestag der Revolution, eine Republik begründen zu wollen, sei»nicht notwendig eine Dummheit, am wenigsten eine Gemeinheit«, lasse keinen Zweifel daran, und wenn er bei Gelegenheit des 50. Jahrestages den 18. März»als Heldenleistung urschwach« genannt habe, so doch ohne zu bestreiten, dass es»eine große Sache« gewesen sei. In Anlehnung an das Motto der unterlegenen Bauernkriegsveteranen habe Fontane denn auch zuversichtlich hinzugesetzt:»Unsere Enkel werden erst die wirkliche Schlacht zu schlagen haben.« 1 Als Angehöriger der Enkelgeneration konnte Michel(1887–1946) damals noch nicht ahnen, dass die Schlacht um die Weimarer Republik ebenfalls verlorengehen würde. Mit dem 175. Jahrestag der Revolution 2023 verbindet sich kein vergleichbar tiefer Umbruch wie 1918/19. Im Interesse einer Stärkung des historischen Bewusstseins ist es aber nichtsdestoweniger zu begrüßen, dass der Verlag Kiepenheuer& Witsch 2023 eine vorerst auf 16 Titel angelegte»Bibliothek der frühen Demokratinnen und Demokraten« zu publizieren begonnen hat. Dass gleich in der ersten Tranche neben Emma Herwegh, Robert Blum und Friedrich Hecker auch Theodor Fontane mit einem Band vertreten ist, dürfte Leser dieser Zeitschrift mit besonderer Genugtuung erfüllen, hat allerdings mehr mit dem postumen Renommee des Dichters zu tun als mit seinem Tun und Lassen 1848. Denn ein politischer Aktivist wie die drei vorgenannten oder die für spätere Bände vorgesehenen»frühen Demokratinnen und Demokraten« war Fontane nicht. Er hat dies auch keineswegs für sich in Anspruch genommen in seinen Erinnerungen, die – leicht gekürzt –
Heft
(1.1.2023) 116
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152
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