Hans-Heinrich Reuter zum 100. Geburtstag Zimmermann 129 Zum 100. Geburtstag von Hans-Heinrich Reuter (1923–1978) Hans Dieter Zimmermann Hans-Heinrich Reuter lernte ich kennen, als er 1972 den Fontane-Preis der West-Berliner Akademie der Künste erhielt. Das war gleich in doppelter Hinsicht etwas Besonderes: Zum einen war Reuter der einzige Literaturwissenschaftler, der diesen Preis empfing; vor und nach ihm wurden nur Schriftstellerinnen und Schriftsteller ausgezeichnet. Zum anderen war es der erste Preis des West-Berliner»Frontstadtsenats«, wie es in Ost-Berlin hieß, den ein DDR-Bürger annehmen durfte. Zehn Jahre zuvor hatte Peter Huchel den Preis erhalten. Die SED hatte ihn gedrängt, den Preis abzulehnen. Als er ihn annahm, wurde er isoliert und bespitzelt; erst 1971 gelang ihm die Ausreise aus der DDR. Reuter kam 1972 von Weimar nach WestBerlin, zuletzt mit der S-Bahn vom Bahnhof Friedrichstrasse – Ost-Berlin – in zwei Stationen zum Bahnhof Bellevue – West-Berlin –, von wo er in wenigen Schritten in die Akademie am Hanseatenweg gelangte: Zwei S-Bahn-Stationen und zwei Welten. Ich war damals Sekretär der Abteilung Literatur der Akademie. Die Akademie hatte fünf Abteilungen, die ehrenamtlich von einem aus den Reihen der Mitglieder gewählten Direktor geleitet wurden, dem ein ›Sekretär‹ genannter Assistent oder eine Assistentin zur Seite stand. Auch die Frauen hießen Sekretär, nicht Sekretärin. In meiner Funktion als Sekretär war ich auch für die Organisation der Fontane-Jury zuständig, die von den Mitgliedern benannt worden war. Zu dieser gehörten die Literaturkritikerin SibylleWirsing, der Literaturkritiker Dieter E. Zimmer und der Schriftsteller Uwe Johnson, Mitglied der Akademie. Ich führte Protokoll. Uwe Johnson kam mit nur einem Vorschlag, den er so nachdrücklich begründete, dass die beiden anderen ihm bald zustimmten. Jedenfalls kann ich mich nicht an eine lange Diskussion erinnern. Vier Jahr zuvor, 1968, war die zweibändige Fontane-Biographie von Hans-Heinrich Reuter nicht nur in Ost-Berlin erschienen, sondern»mit freundlicher Genehmigung des Verlags der Nation« auch in der Nymphenburger Verlagsanstalt München. Möglicherweise hatte Johnson sie gerade gelesen, weil er so frisch davon erzählte. Er war ein
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(1.1.2023) 116
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