Heft 
(1.1.2023) 116
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160 Fontane Blätter 116 Rezensionen Thomas von Steinaecker: Ende offen. Das Buch der gescheiterten Kunst­werke. Frankfurt a. M.: S. Fischer 2021. 604 S. 35,00 Um gleich eine Antwort auf die naheliegende Frage vorwegzunehmen: Ja, auch Fontane spielt in dieser Geschichte der unfertigen oder»gescheiterten Kunstwerke« eine Rolle. Er wird porträtiert als Autor, der auf einem hart umkämpften Zeitschriften- und Buchmarkt eine ökonomisch kluge Form literarischer Vorratshaltung betrieb. Für das vorliegende Buch greift Tho­mas von Steinaecker ebenfalls auf Vorarbeiten zurück, auf seine luziden Es­says aus der Neuen Rundschau, für die schon Fontane als Autor tätig war. Zwar ließe sich gegen die These, dieser sei»eine[r] der größten Produzen­ten von Fragmenten in der Literaturgeschichte«(S. 467), einwenden, dass Fontanes mehr als 150 hinterlassene Bruchstücke nicht nur Entwürfe zu Roman- und Erzählungsprojekten darstellen, sondern auch verworfene oder in modifizierter Form adaptierte Texte, Einfälle und Notate mit eige­nem Stellenwert. Aber dadurch verliert das Kapitel»Ein merkwürdiges Mädchen« mit seiner Überblendung des Nachlasstextes Mathilde Möhring und des Schicksals von Martha Fontane nicht an Reiz. Nicht minder aufschlussreich ist der Kommentar zu Adolph von Menzels Aufbahrung der Märzgefallenen. Das Bild zeigt die Trauerfeier für die 183 Opfer der Revolution von 1848. König Friedrich Wilhelm IV., auf dessen Befehl die Barrikadenkämpfe niedergeschlagen wurden, hatte der Ehrung der Märzgefallenen zugestimmt, um einer weiteren Eskalation des Auf­ruhrs entgegenzuwirken. In Skizzen hielt Menzel am 22. März 1848 die Auf­bahrung am Gendarmenmarkt fest, doch blieb sein Ölgemälde unvollendet. Obwohl die Figuren im linken Vordergrund nicht ausgeführt sind, hat der Maler das Bild ausgerechnet an dieser Stelle signiert. Von der Darstellung geht eine starke Bewegung aus, die aber nicht auf den Dom oder die Helden der Revolution gerichtet ist, sondern auseinanderführt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das große Ereignis schon vorüber ist. Was als histori­sche Zäsur im Land erschien, der Menzel offenkundig ein Denkmal setzen wollte, erwies sich schon bald als Trugschluss, denn bereits wenig später enttäuschte Friedrich Wilhelm IV. alle Reformhoffnungen. So wäre zu fra­gen, ob Menzels Gemälde aus Resignation über die gescheiterte Revolution unvollendet blieb. Nahelegen könnte das auch ein kleines Mädchen im Bild­vordergrund: Es schleift die schwarz-rot-goldene Flagge nachlässig durch den Dreck. Neben Fontanes Fragmenten und Menzels Aufbahrung der Märzgefalle­nen präsentiert Thomas von Steinaecker in seiner Kulturgeschichte unvoll­endeter Kunstwerke eine breite Palette utopischer Vorhaben und geplanter Meisterwerke, die durch Tod, Zufall oder ungünstige Umstände scheiterten oder dem Größenwahn ihrer Schöpfer zum Opfer fielen. Klassische Musik