336
Deutsche Rundschau.
erzählen zu lassen, und die verstorbene Frau Registratorin und ihr Geiz und ihre Neffen und deren Frauen boten einen unerschöpflichen Stoff. Auch Johanna hörte dabei gerne zu.
Diese, wenn Esst bei den drastischen Stellen oft laut lachte, lächelte freilich und verwunderte sich im Stillen, daß die gnädige Frau an all' dem dummen Zeuge so viel Gefallen finde; diese Verwunderung aber, die mit einem starken üeberlegenheitsgefühle Hand in Hand ging, war doch auch wieder ein Glück und sorgte dafür, daß keine Rangstreitigkeiten aufkommen konnten. Roswitha war einfach die komische Figur, und Neid gegen sie zu hegen, wäre für Johanna nichts Anderes gewesen, wie wenn sie Rollo um seine Freundschaftsstellung beneidet hätte.
So verging eine Woche, plauderhast und beinahe gemüthlich, weil Esst dem, was ihr persönlich bevorstand, ungeängstigter als früher entgegen sah. Auch glaubte sie nicht, daß es so nahe sei. Den neunten Tag aber war es mit dem Plaudern und den Gemüthlichkeiten vorbei; da gab es ein Lausen und Rennen, Jnnstetten selbst kam ganz aus seiner gewohnten Reserve heraus, und am Morgen des 3. Juli stand neben Effi's Bett eine Wiege. Doctor Hannemann patschelte der jungen Frau die Hand und sagte: „Wir haben heute den Tag von Königgrätz; schade, daß es ein Mädchen ist. Aber das Andere kann ja Nachkommen, und die Preußen haben viele Siegestage." Roswitha mochte Wohl Aehnliches denken, freute sich indessen vorläufig ganz uneingeschränkt über das, was da war, und nannte das Kind ohne Weiteres „Lütt-Annie", Was der jungen Mutter als ein Zeichen galt. „Es müsse doch Wohl eine Eingebung gewesen sein, daß Roswitha gerade auf diesen Namen gekommen sei." Selbst Jnnstetten wußte nichts dagegen zu sagen, und so wurde schon von Klein-Annie gesprochen, lange bevor der Tauftag da war. Esst, die von Mitte August an bei den Eltern in Hohen - Cremmen sein wollte, hätte die Taufe gern bis dahin verschoben. Aber es ließ sich nicht thun; Jnnstetten konnte nicht Urlaub nehmen, und so wurde denn der 15. August, trotzdem es der Napoleonstag war (was denn auch von Seiten einiger Familien beanstandet wurde), für diesen Taufact festgesetzt, natürlich in der Kirche. Das sich anschließende Festmahl, weil das landräthliche Haus keinen Saal hatte, fand in dem großen Ressourcen - Hotel am Bollwerk statt, und der gesammte Nachbaradel war geladen und auch erschienen. Pastor Lindequist ließ Mutter und Kind in einem liebenswürdigen und allseitig bewunderten Toaste leben, bei welcher Gelegenheit Sidonie v. Grasenabb zu ihrem Nachbar, einem adligen Assessor von der strengen Richtung, bemerkte: „Ja, seine Casualreden, das geht. Aber seine Predigten kann er vor Gott und Menschen nicht verantworten; er ist ein Halber, einer von Denen, die verworfen sind, weil sie lau sind. Ich mag das Bibelwort hier nicht wörtlich citiren." Gleich danach nahm auch der alte Herr v. Borcke das Wort, um Jnnstetten leben zu lassen. „Meine Herrschaften, es sind schwere Zeiten, in denen wir leben, Auflehnung, Trotz, Jndisciplin, wohin wir blicken. Aber so lange wir noch Männer haben, und ich darf hinzusetzen, Frauen und Mütter (und hierbei verbeugte er sich mit einer eleganten Handbewegung gegen Esst) ... so lange