170 Deutsche Rundschau.
vierten Generation, volle hundert Jahre, und wenn es einen Apothekeradel gäbe . . ."
„So würden Sie ihn beanspruchen dürfen. Und ich meinerseits nehme ihn für bewiesen an und sogar für bewiesen ohne jede Einschränkung. Uns, aus den alten Familien, wird das am leichtesten, weil wir, so wenigstens bin ich von meinem Vater und auch von meiner Mutter her erzogen, jede gute Gesinnung, sie komme woher sie wolle, mit Freudigkeit gelten lassen. Ich Lin eine geborene Briest und stamme von dem Briest ab, der, am Tage vor der Fehrbelliner Schlacht, den Ueberfall von Rathenow ausführte, wovon Sie vielleicht einmal gehört haben ..."
„O, gewiß, meine Gnädigste, das ist ja meine Specialität."
„Eine Briest also. Und mein Vater, da reichen keine Hundertmale, daß er zu mir gesagt hat: Effi (so heiße ich nämlich) Efsi, hier sitzt es, bloß hier, und als Froben das Pferd tauschte, da war er von Adel, und als Luther sagte „hier stehe ich," da war er erst recht von Adel." Und ich denke, Herr Gieshübler, Jnnstetten hatte ganz recht, als er mir versicherte, wir würden gute Freundschaft halten."
Gieshübler hätte nun am liebsten gleich eine Liebeserklärung gemacht und gebeten, daß er als Cid oder irgend sonst ein Campeador für sie kämpfen und sterben könne. Da dies Alles aber nicht ging und sein Herz es nicht mehr anshalten konnte, so stand er auf, suchte nach seinem Hut, den er auch glücklicherweise gleich fand, und zog sich, nach wiederholtem Handkuß, rasch zurück, ohne weiter ein Wort gesagt zu haben.
Neuntes Capitel.
So war Effi's erster Tag in Kessin gewesen. Jnnstetten gab ihr noch eine halbe Woche Zeit, sich einzurichten und die verschiedensten Briefe nach Hohen-Cremmen zu schreiben, an die Mama, an Hulda und die Zwillinge; dann aber hatten die Stadtbesuche begonnen, die zum Theil (es regnete gerade so, daß man sich diese Ungewöhnlichkeit schon gestatten konnte), in einer geschlossenen Kutsche gemacht wurden. Als man damit fertig war, kam der Landadel an die Reihe. Das dauerte länger, da sich, bei den meist großen Entfernungen, an jedem Tage nur eine Visite machen ließ. Zuerst war man bei den Borcke's in Rothenmoor, dann ging es nach Morgnitz, Dabergotz und Kroschentin, wo man bei den Ahlemann's, den Jatzkows und den Grase- nabb's den pflichtschuldigen Besuch abstattete. Noch ein paar Andere folgten, unter denen auch der alte Baron v. Güldenklee auf Papenhagen war. Der Eindruck, den Esst empfing, war überall derselbe: mittelmäßige Menschen, von meist zweifelhafter Liebenswürdigkeit, die, während sie Vorgaben, über Bismarck und die Kronprinzessin zu sprechen, eigentlich nur Effi's Toilette musterten, die von Einigen als zu prätentiös für eine so jugendliche Dame, von Andern als zu wenig decent für eine Dame von gesellschaftlicher Stellung befunden Wurde. Man merke doch an Allem die Berliner Schule: Sinn für Aenßer- liches und eine merkwürdige Verlegenheit und Unsicherheit bei Berührung