Heft 
(1894) 81
Seite
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Deutsche Rundschau.

Dies allein schon ist ängstlich genug. Und nun weißt Du, warum i ch kommen will, wenn es erst so weit ist. Ach, wäre es nur erst so weit. Es sind so viele Gründe, warum ich es wünsche. Heute Abend haben wir Sylvesterball, und Gieshübler der einzig nette Mensch hier, trotzdem er eine hohe Schulter hat, oder eigentlich schon etwas mehr Gieshübler hat mir Camelien ge­schickt. Ich werde doch vielleicht tanzen. Unser Arzt sagt, es würde mir nichts schaden, im Gegentheil. Und Jnnstetten, was mich säst überraschte, hat auch eingewilligt. Und nun grüße und küsse Papa und all' die andern Lieben. Glückauf zum neuen Jahr. Deine Esst."

Dreizehntes Capitel.

Der Shlvesterball hatte bis an den frühen Morgen gedauert, und Esst war ausgiebig bewundert worden, freilich nicht ganz so anstandslos wie das Camelienbouquet, von dem man wußte, daß es aus dem Gieshübler'schen Treib­hause kam. Im Uebrigen blieb auch nach dem Sylvesterball Alles beim Alten, kaum daß Versuche gesellschaftlicher Annäherung gemacht worden wären, und so kam es denn, daß der Winter als recht lange dauernd empfunden wurde. Besuche seitens der benachbarten Adelsfamilien fanden nur selten statt, und dem pflichtschuldigen Gegenbesuche ging in einem halben Trauertone jedesmal die Bemerkung voraus:Ja, Geert, wenn es durchaus sein muß, aber ich vergehe vor Langerweile." Worte, denen Jnnstetten nur immer zustimmte. Was an solchen Besuchsnachmittagen über Familie, Kinder, auch Landwirth- schast gesagt wurde, mochte gehen; wenn dann aber die kirchlichen Fragen an die Reihe kamen und die mitanwesenden Pastoren wie kleine Päpste behandelt wurden, oder sich auch Wohl selbst als solche ansahen, dann riß Esst der Faden der Geduld, und sie dachte mit Wehmuth an Niemeyer, der immer zurück­haltend und anspruchslos war, trotzdem es bei jeder größeren Feierlichkeit hieß, er habe das Zeug, an denDom" berufen zu werden. Mit den Borckes, den Flemmings, den Grasenabbs, so freundlich die Familien, von Sidonie Grasenabb abgesehen, gesinnt waren es wollte mit Allen nicht so recht gehen, und es hätte mit Freude, Zerstreuung und auch nur leidlichem sich Behaglichfühlen manchmal recht schlimm gestanden, wenn Gieshübler nicht gewesen wäre. Der sorgte für Esst, wie eine kleine Vorsehung, und sie wußte es ihm auch Dank. Natürlich war er, neben allem Anderen, auch ein eifriger und aufmerksamer Zeitungsleser, ganz zu geschweigen, daß er an der Spitze des Journalzirkels stand, und so verging denn fast kein Tag, wo nicht Mirambo ein großes, Weißes Couvert gebracht hätte, mit allerhand Blättern und Zeitungen, in denen die betreffenden Stellen angestrichen waren, meist eine kleine, feine Bleistiftlinie, mitunter aber auch dick mit Blaustift und ein Ausrufungs- oder Fragezeichen daneben. Und dabei ließ er es nicht bewenden; er schickte auch Feigen und Datteln, Chokoladentafeln in Satinspapier und ein rothes Bändchen drum, und wenn etwas besonders Schönes in seinem Treibhaus blühte, so brachte er es selbst und hatte dann eine glückliche Plauder­stunde mit der ihm so sympathischen jungen Frau, für die er alle schönen