Heft 
(1894) 81
Seite
321
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Lfsi Artest.

Roman

von

Theodor Fontane.

Zwölftes Capitel.

Es war spät, als man aufbrach. Schon bald nach Zehn hatte Effi zu Gieshübler gesagt:es fei nun Wohl Zeit; Fräulein Trippelli, die den Zug nicht versäumen dürfe, müsse ja schon um sechs von Kessin ausbrechen," die daneben stehende Trippelli aber, die diese Worte gehört, hatte mit der ihr eigenen ungenirten Beredsamkeit gegen solche zarte Rücksichtsnahme protestirt. Ach, meine gnädigste Frau, Sie glauben, daß unsereins einen regelmäßigen Schlaf braucht, das trifft aber nicht zu; was wir regelmäßig brauchen, heißt Beifall und hohe Preise. Ja, lachen Sie nur. Außerdem, so 'was lernt man, kann ich auch im Coupä schlafen, in jeder Situation und sogar auf der linken Seite und brauche nicht einmal das Kleid aufznmachen. Freilich bin ich auch nie eingepreßt; Brust und Lunge müssen immer frei sein, und vor Allem das Herz. Ja, meine gnädigste Frau, das ist die Hauptsache. Und dann das Capitel Schlaf überhaupt, die Menge thut es nicht, was ent­scheidet, ist die Qualität; ein guter Nicker von fünf Minuten ist besser als fünf Stunden unruhige 'Rumdreherei, 'mal links, 'mal rechts. Uebrigens schläft man in Rußland wundervoll, trotz des starken Thees. Es muß die Luft machen oder das späte Diner oder weil man so verwöhnt wird. Sorgen gibt es in Rußland nicht; darin im Geldpunkt sind beide gleich ist Rußland noch besser als Amerika."

Nach dieser Erklärung der Trippelli hatte Effi von allen Mahnungen zum Aufbruch Abstand genommen, und so war Mitternacht herangekommen. Man trennte sich heiter und herzlich und mit einer gewissen Vertraulichkeit.

Der Weg von der Mohrenapotheke bis zur landräthlichen Wohnung war ziemlich weit; er kürzte sich aber dadurch, daß Pastor Lindequist bat, Jnnstetten und Frau eine Strecke begleiten zu dürfen; ein Spaziergang unterm Sternen­himmel sei das Beste, um über Gieshübler's Rheinwein hinwegzukommen. Unterwegs wurde man natürlich nicht müde, die verschiedensten Trippelliana

Deutschs Rundschau. XXI, 3. 21