Heft 
(1880) 39
Seite
317
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Diners eben nicht allzu selten waren, suchte vor Allem von dem heiklen Murillo-Thema loszukommen, was, bei Van der Straatens Eigensinn, aller­dings nur durch eine geschickte Diversion geschehen konnte. Und solche Diversion ermöglichte sich denn auch, indem Melanie mit anscheinender Unbe­fangenheit hinwars:Van der Straaten wird mich auslachen, in Bild und Malerfragen eine Meinung haben zu wollen. Wer ich muß ihm offen be­kennen, daß ich mich, wenn seine gewagte Madonnen-Eintheilung überhaupt acceptirt werden soll, ohne Weiteres für eine von ihm ignoxirte Mittel-Gruppe, nämlich für die temperirten entscheiden würde. Die Tizianischen scheinen mir diese wohlthuend gemäßigte Temperatur zu haben. Ich lieb' ihn überhaupt".

Ich auch, Melanie. Brav, brav. Ich Hab' es immer gesagt, daß ich noch einen Kunstprosessor in Dir großziehe. Nicht wahr, Arnold, ich Hab' es gesagt? Beschwör' es. Eine Schwur-Bibel ist nicht da, aber wir haben Reiff, und ein Polizeirath ist immer noch so gut wie ein Evangelium. Du lachst, Schwager; natürlich; Ihr merkt es nicht, aber wir. Uebrigens hat Reiff ein leeres Glas. Und Elimar auch. Friedrich, alter Pomuchels- kopf, steh nicht in Liebesgedanken. Ü.I1ou8 dulaut8. Wo bleibt der Mouet? Flink, sag' ich. Bei den Gebeinen des unsterblichen Roller, ich lieb' es nicht, meinen Champagner in den letzten fünf Minuten in kümmerlicher Renommage schäumen zu sehen. Und noch dazu in diesen vermaledeiten Spitzgläsern, mit denen ich nächstens kurzen Proceß machen werde. Das sind Rechnungs- aber nicht Commercienraths-Gläser. Und mit dem Tizian, Melanie, hast Du doch Unrecht. Das heißt halb. Er versteht sich aus,

alles Mögliche, nur nicht ans Madonnen. Auf Frau Venus versteht er sich.

Das ist seine Sache. Fleisch, Fleisch. Und immer lauert irgendwo der kleine liebe Bogenschütze. Pardon, Elimar, ich bin nicht für Massen-Amors ans Tischkarten, aber für den Einzel-Amor bin ich und ganz besonders für den des Tizianischen rothen Ruhebetts mit zurückgezogener grüner Damast­gardine. Ja, meine Herrschaften, da gehört er hin, und immer ist er wieder reizend, ob er ihr zu Häupten oder zu Füßen sitzt, ob er hinter dem

Bett oder der Gardine hervorkuckt, ob er seinen Bogen eben gespannt oder

eben abgeschossen hat. Und was ist vorzuziehen? Eine seine Frage, Reiff. Ich denke mir, wenn er ihn spannt . . . Und diese ruhende linke Hand mit dem ewigen Spitzentaschentnch. O, superbe. Ja, Melanie, den Tag will ich Deine Bekehrung feiern, wo Du mir zugestehst: 8uuur ouigus, dem

Tizian die Venus und dem Murillo die Madonna".

Ich fürchte, Van der Straaten, da wirst Du lange zu warten haben, und am längsten auf meine Murillo-Bekehrnng. Denn diese gelben Dunst­wolken, aus denen etwas inbrünstig Gläubiges in seelisch-sinnlicher Verzückung aufsteigt, sind mir unheimlich. Es hat die Grenze des Bezaubernden über­schritten und statt des Bezaubernden sind' ich etwas Behexendes darin".

Gryczinski nickte leise der Schwägerin zu, während jetzt Elimar das Glas erhob und um Erlaubnis^ bat, nach dem eben gehörten Wort einer