Friedrich Christoph Schlosser. - 35s
dem Rausche zu folgen Pflegt, ob er statt der Ausdruck normalen und gesunden Lebens nicht vielleicht selbst ein Zeichen der Schwäche und des Mißbehagens sei. Man sieht ein, daß auf dem bisherigen Wege nicht weiter zu kommen ist und man kehrt zurück zu den Anfängen. Die Philosophie, so lange mißachtet, fängt wieder an, in den Vordergrund des öffentlichen Interesses zu treten, die Naturforschung, Jahrzehnte lang nur mit der Sammlung und Einreihung einzelner Thalsachen beschäftigt, sucht wieder zu allgemeinen Gesichtspunkten vorzudringen, die Jurisprudenz sogar beginnt die Fesseln der historischen Schule abzustreifen und stellt die Frage nach dem Zweck und nach der Vernunft im Recht. Sollte die Geschichtswissenschaft von dieser Strömung allein unberührt bleiben? Sollte sie, die in Forschung und Methode, in Darstellung und Auffassung nicht am wenigsten von den Zielen abgewichen ist, die man sich vordem gesteckt, nicht auch versuchen, sich wieder an ihren Ursprüngen zu orientiren und sich fragen: Woher und
Wohin? Und eine derartige Einkehr in sich selbst wird sie mit Noth-
wendigkeit zu einer Würdigung von Schlosser führen müssen. In der That ist neuerdings von Ottokar Lorenz ein bedeutsamer Versuch in dieser Richtung unternommen worden*), und wenn wir im Folgenden versuchen, uns selbst und dem Leser das Wesen Schlosserscher Historik klar zu macken, so werden wir mannigfaltige Veranlassung haben, an diese Erörterungen anzuknüpfen.
Es ist vor Allem die Stellung von Schlosser in der geistigen Bewegung des Jahrhunderts, die Lorenz zuerst genauer bestimmt hat, und in hohem Grade anregend, wenn auch nicht selten zum Widerspruch aufforderud, ist der Nachweis der Fäden, durch welche er mit der vorangegangenen Entwicklung zusammeuhängt. Bis dahin, das darf man wohl aussprecheu, war Schlosser immer nur als isolirte Erscheinung betrachtet worden, selbst Gerviuus hat ihn augestaunt, bewundert und zu ergründen gesucht lediglich als ein Phänomen; bis zu der Genesis dieses Geistes ist er nur an einzelnen Punkten vorgedrungen, wo es galt, individuelle Züge zu erklären, die auch anders hätten sein können, ohne daß der Meister dadurch wesentlich ein Anderer geworden wäre. Schlosser war nach seinem ganzen Denken und Fühlen ein Mann des achtzehnten Jahrhunderts. Er gehörte zu einer
Generation, die im Begriff war zu scheiden, als er zuerst mit größeren Werken vor die Oeffentlichkeit trat. So erscheint er als ein Nachzügler und er hat die nach langen und schweren Kämpfen gewonnene Welt- und Geschichts- auschauung bis au das Ende eines ungewöhnlich langen Lebens unverbrüchlich, bewahrt. Während dessen veränderte sich die Welt, die ihn umgab. Ein philosophisches System, dem er fremd gegenüber stand, errang eine unbedingte Herrschaft und suchte alle Wissenschaften nach seinem Bilde zu gestalten, neue Tendenzen in Staat und Kirche brachen sich Bahn, vor Allem aber begann
*) Friedrich Christoph Sclstosser und über einige Aufgaben und Principien der Geschichtsschreibung. Wien 1878.