Heft 
(1880) 39
Seite
352
Einzelbild herunterladen

352

Franz Rühl in Königsberg.

eine von der seinen grundverschiedene Behandlung und Betrachtung der Geschichte emporzuwachsen, zu der sich allmählich die Mehrzahl der akademischen Lehrer bekannte, vie schließlich auch das große Publikum für sich eroberte. So war er, wie er bei seinem feinen Gefühl für den Pulsschlag des öffentlichen Lebens vielleicht am frühesten wahrnahm, von der Zeit und die Zeit von ihm abgewichen. Wenn er trotzdem eine so gewaltige und tief­dringende Wirkung ausgeübt hat, so liegt das daran, daß er in seinem welt­umfassenden Geiste, in seinem tiefen Gemüth die Gesammtheit der Bildung der Epoche, welcher er von Haus aus angehörte, am vollkommensten zusammenfaßte und daß diese Bildung der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zwar in ihrer speciellen Erscheinungsform zurückgedrängt werden, aber in ihrem Wesen nie eigentlich veralten kann.

Daß sich Schlosser aber so früh einsam fühlte, liegt an einem ganz individuellen Umstand. Es ist das die Verspätung, man kann kaum sagen seiner Entwicklung, aber die seines öffentlichen Auftretens. Er ist einer der wenigen unserer großen Geschichtsschreiber, die nicht von Anfang an auf die akademische Laufbahn hingestrebt haben. Es fehlte ihm damit ein äußerer Grund, der so häufig zu früher Production antreibt. Er scheint aber auch den inneren Antrieb zur Schriftstellerei erst verhältnißmäßig spät empfunden zu haben. Man kann vielleicht behaupten: die Production machte ihn productiv. Er sah sich durch seine Frankfurter Vorlesungen gezwungen, den ungeheuren geschichtlichen Stoff, den er gesammelt und durchdacht, gestaltend zu durchdringen, und mit dem Werke wuchs die Lust daran.

So ist die Grundlage derWeltgeschichte in zusammenhängender Erzählung" entstanden, auf ähnliche Weise sind alle feine Hauptwerke allmählich geworden, aus kleinen Anfängen, die eigentlich nur die Grundzüge und die Grund­gedanken enthielten, dann immer weiter und weiter ausgeführt wurden, bis der angewachsene Stoff den alten Rahmen gleichsam zu zersprengen schien. Streben nach Ruhm und Ehren lag Schlosser immer fern. Er war zu früh zu der Erkenntnis; gekommen, was eigentlich an den vielbewunderten Größen der deutschen Gelehrsamkeit sei, er hatte zu früh eingesehen, wie die Art von Ruhm, dessen sich in seiner Jugend etwa die Göttinger erfreuten, gemacht werde, um dadurch geblendet zu werden, und er war eine zu tiefe Natur, um eine ähnliche Rolle erstrebenswerth zu finden. Er geht aus auf die Erkenntnis;, nicht auf die Verkündigung neuer, möglichst blendender Resultate; aus dem Altbekannten herauszugreifen und durch Verbindung und Zusammenfassung zu wirken, ist die Devise wie von Gervinus so auch vor: ihm. Es würde ihm, wenigstens in feinen früheren Jahren, kaum viel Ueberwindung gekostet haben, wenn er diese Erkenntniß nur einem kleinen Kreise im mündlichen Verkehr hätte mittheilen sollen; es ist meist ein praktischer Zweck, das Wirken auf die Zeit, das Verlangen in ihre Bewegung einzugreisen, was ihm die Feder in die Hand drückt.

Mit dieser Entstehungsweise seiner Werke hängt ein Fehler seiner