Heft 
(1880) 39
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- Friedrich Lhristopb Schlosser. - 3öo

ihnen seine Wege gegangen ist. Er hat von ihren Ideen eigentlich nichts ausgenommen, als was sie mit den übrigen Führern der Ausklärungsperiode gemein hatten. Er haßte stein ganzes Leben lang die Schulen und die von ihnen ausgehende Tradition, wie er es denn auch später selbst möglichst ver­mieden hat, Schüler zu bilden.

Die entscheidende Zeit sür seine Entwicklung waren vielmehr die unstäten Wanderjahre, welche zwischen dem Ende seiner Göttinger Studienzeit und seiner Uebersiedelung nach Frankfurt liegen. Damals hat er nicht nur Gelegenheit gehabt, als aufmerksamer und umsichtiger Beobachter die große Welt kennen zu lernen, die noch in ganz Europa überall so ziemlich die gleiche war, sondern damals begann er auch zuerst seine Studien zu con- centriren und unter einheitliche Gesichtspunkte zu fassen. Vor Allem beginnt jetzt eine eingehende Beschäftigung mit der deutschen Philosophie, durchgeführt in der denkbar systematischsten Weise, obwohl er bald erkannte, daß er so wenig ein specülativer als ein mathematischer Kopf sei. Daneben aber geht ein fortgesetztes Studium der ganzen Literatur des Jahrhunderts her, die Niemand in ähnlichem Umfang beherrscht hat, als Schlosser. Schließlich trug es denn doch die Geschichte davon, obwohl er noch in den Anfängen des Frankfurter Aufenthalts daran dachte, als Reformator der Theologie anfzutreten. Nicht unmöglich, daß bei der endlichen entscheidenden Wendung auch der Umstand noch mitgewirkt hat, daß die Geschichte damals als Wissenschaft mit dem ganzen Reize der Neuheit auftrat. Erst das achtzehnte Jahrhundert hatte sie selbständig gemacht, ihr eigene und eigenthümliche Ausgaben gestellt und zugleich durch die Begründung der historischen Kritik den Weg zu ihrer Lösung gewiesen. Die kritischen Grundsätze, welche damals ausgestellt wurden, sind im Wesentlichen noch heute in Geltung nnd werden es anch immer bleiben. Tenn es giebt allezeit nur eine einzige Methode der Kritik, es handelt sich nur darum, sie auf die verschiedenen Gebiete anzuwenden. Gleichzeitig wurde denn auch, in Deutschland zum ersten Male, versucht, die Geschichte in politischem und staatsmännischem Geiste aufzufassen und die Entwicklung der Cultur, der man bis dahin gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, pragmatisch zu ver­folgen. Ueberall zeigte sich eine rege Begeisterung sür dieses zu einem ganz neuen Leben erweckte Studium und aus einen Polyhistor wie Schlosser mußte es eine doppelte Anziehungskraft ausübcn, weil die Geschichte in der That die große associirende Wissenschaft zu sein schien, deren Betrieb die Kenntniß aller Wissenschaften voraussetzte und ihre letzten Ergebnisse ver­einigte.

Es ist aber auch ein andrer Umstand zu beachten, der sür Schlossers Haltung bestimmend wurde. Der ganze Zug der Zeit ging doch trotz und wegen der Polyhistorie nicht auf das Einzelne, sondern auf das Ganze. Man war ungeheuer systematisch, weil man ein System stürzen wollte. Man strebte heraus aus dem Mittelalter, und wie das in solchen Uebcrgangs- perioden natürlich ist, man suchte sofort zu einer Lösung der letzten und