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Franz Kühl in Königsberg.
höchsten Fragen vorzudringen. Kaum war die Geschichte von ihren Magdsdiensten bei Theologie und Jurisprudenz befreit worden, als man auch schon mit dem Aufsuchen von Gesetzen begann. Es sind im Grunde nur verschiedene Stufen eines und desselben Bestrebens, wenn Gatterer als gründlicher und etwas pedantischer Gelehrter bemüht ist, eine Eintheilung der Weltgeschichte nach immanenten Principien zu gewinnen, welche an die Stelle der vier Monarchien des Daniel treten könnte, wenn Lessing der Erziehung des Menschengeschlechts nachsinut und wenn Herder die Gesammtentwicklung der Menschheit umfassen zu können hofft. Es ist aber keiner von allen diesen, der sich rühmen kann, Schlosser die Wege gewiesen zu haben: cs war ein ganz anders gearteter Geist: es war Voltaire. Voltaire ist für ihn wie für Buckle der eigentliche Bahnbrecher der modernen Geschichtswissenschaft, obwohl er sich zu Voltaires eigenen historischen Werken nur ablehnend verhält. „Voltaire", so sagt er, „erscheint nie unabhängig von den Vorurtheilen der Gesellschaft, worin er von Jugend auf gelebt hatte, weil er aber dafür auch von allen Vorurtheilen der Schulen ganz frei ist, urtheilt er mit der nüchternen Besonnenheit seiner Zeit über sede andere Zeit. Einer der fleißigsten und genauesten deutschen Geschichtslehrer, Schlözer, hat dankbar anerkannt, daß er und alle andere, die, wie er, blos die äußere Größe achten und Miltiades neben Attila und Dschingiskhan einen Torsschulzen, Athen ein kleines Nest nennen, von Voltaire erleuchtet worden; wir anderen danken ihm, daß er das Abgeschmackte des Treibens der Sammler, Stoppler, Foliantenschreiber durch einen beißenden Spott doch wenigstens in einige Schranken trieb". Wer nun den Beziehungen zwischen Schlosser und Voltaire weiter nachgehen wollte, der würde auch sonst überall Anknüpfungspunkte in Hülle und Fülle finden. Vielleicht nicht blos Anknüpfungspunkte negativer Art. Aber die positiven Elemente Schlosserscher Betrachtungsweise stammen doch aus ganz andern Quellen, aus Rousseau und Kant und aus der Romantik.
Der Einfluß der romantischen Schule auf Schlosser, das mystische Element in ihm, sind zwar mehrfach hervorgehoben, aber nur selteu genügend gewürdigt worden. Und doch ist das ein Hanpterforderniß für das Verständniß seines Wesens. Welchen gewaltigen Eindruck hat nicht Schelling aus ihn geinacht! Wie hebt er selbst die Dankbarkeit hervor, die er den Gebrüdern Schlegel schulde! Mit welcher Begeisterung hat er sich Dante hingegeben und wie hat er sich grade auch nach der mystischen Seite hin in ihn versenkt! Diese Entwicklungsphase gehört dem Aufenthalt in Frankfurt an. Schon aus der Autobiographie konnte man ersehen, welche gewaltige Umwandlung - hier in Schlosser vorgegangen sein muß; jetzt besitzen wir in den Briefen an Frau Schmidt, wie eine neue Perle unserer Literatur so ein unvergleichliches Document für die Geschichte seines inneren Lebens. Leider fließen die Quellen für das äußere zu spärlich, als daß wir uns ein deutliches Bild von der Gemüthsversasfung machen könnten, in der er nach Frankfurt kam; aus den Andeutungen, die er selbst gibt, können wir nur ersehen, daß ihn die inneren