Heft 
(1880) 39
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Franz Rühl in Königsberg.

die Grundlage ihrer eigenen Schwärmerei zu zerzausen. Aus Rousseau und Kant hatte er gelernt, stets festgehalten und nie aufgehört, seinen Freundinnen einzuprägen, daß aller Glaube nur in soweit Werth habe, als er auf das Praktische, auf die Sittlichkeit bezogen werden könne.Wir beide", fo spricht er Frau Schmidt gegenüber fein religiöses Glaubensbekenntniß aus,bekennen uns zu einem Gott, der die Liebe ist, das wird uns untereinander und mit der Welt in Frieden halten, und wenn wir aus leidenschaftlicher Heftigkeit oder sonst fehlen sollten, auf den Weg des Rechts zurückbringen. Das Uebrige find Nebensachen. Der Friede, der über mich gegossen, die Ruhe über Gegen­wart und Zukunft, Haben und Entbehren, ist nicht mein Frieden, es ist Gottes Frieden; wie der Gott aber aussieht, das mag der Herr Pastor Stein Ihnen sagen. Daß ich indessen den, der den Frieden nicht heute und gestern, sondern Jahre lang in mir schafft, der mir meine Einsamkeit zur Seligkeit und meine Arbeit zur Beruhigung gedeihen läßt, innig preise, mag er sein wer oder wo er will, das können Sie denken".

Der Stich auf den Pastor Stein, einen jungen orthodoxen Prediger in Frankfurt, bezeichnet bereits ein neues und letztes Stadium der Entwicklung Schlossers. Es ist die ganze Bildung des achtzehnten Jahrhunderts, die sich in ihm gegen den Rückfall üüs Mittelalter auflehnt, der im neunzehnten ange­strebt wurde. Frühzeitig hat er Hellen Auges die Gefahr erkannt und ist ihr mit männlicher Entschlossenheit entgegengetreten. Heftig und rücksichtslos, wie er von Natur war, ging er vor und scheute sich nicht, deshalb mit alten Freunden zu brechen. Noch vor wenigen Jahren hatte er, vielleicht allerdings nicht unbeeinflußt durch Creuzers Warnungen vor dem dem alten Boß fein Auftreten gegen Stolberg auf das Bitterste verdacht, doppelt verdacht, daß er noch als alter Mann so ganz der Zeit angehöre, mit einer Seele voll bitterster Galle; jetzt trat er in die engsten Beziehungen zu ihm und nach seinem Tode chat er ihn in jenem begeisterten Nachruf gefeiert, der ihn als den Mann preist, der Luthers Kreuz ausgenommen und alle Kämpfer für Freiheit der Lehre und des Glaubens unter fein Banner gesammelt habe, der nicht am Wenigsten den edlen Zorn des Greifes rühmt, mit dem er den elenden Künsten vorgeblicher Gelehrten entgegengetreten sei. Und derselbe Mann, der sich so lange aus dem Weltgetümmel hinausgesehnt hatte, griff als Fünfziger zur Feder mit der ausgesprochenen Absicht, auf die politische Haltung der Nation einzuwirken.

Dieser neuen, durchaus weltlichen Richtung ist er dann treu geblieben bis ans Ende. Als der schönste Traum, den man auf Erden träumen kann, erschien zwar noch dem Siebziger das Frankfurter Leben, aber er hatte längst erkannt, daß es auf einer Täuschung, einen: Verkennen der Menschen und des auf Erden Möglichen beruht hatte. Er kann freilich auch nie in der Mystik so aufgegangen sein, wie es den Anschein hat. Er war stets ein scharfer Beobachter der Dinge um ihn her geblieben, er hat oft hervorgehoben, daß er in Frankfurt in der bewegtesten Epoche fo recht im Mittelpunkte der