Tinge gestanden, und es ist sehr bedauerlich, daß wir so wenig von seinem Verhältnis zu dem wissen, wovon er der Frau Schmidt versichert, daß es sie nichts angehe. Mit der Zeit traten die realen Verhältnisse des Menschen- und Volkerlebens immer mehr für ihn in den Vordergrund der Betrachtung: zu Dante gesellte sich Macchiavelli.
Ein politischer Zug hat immer in ihm gelegen und er konnte durch die-
Zeit und die Umgebung, in denen er lebte, nur noch verstärkt werden.
Politischen Sinn verlangte er von den Deutschen; oft und herbe genug hat er sie wegen ihres Mangels daran ausgescholten und die Mahnung, welche Gervinus am Schlüsse seiner Geschichte der deutschen Dichtung aussprach, war ganz nach seinem Sinne. Vielleicht ist es auch nur für bewußte Resignation
zu halten, wenn er nie versucht hat, in die eigentlichen Welthändel ein
zugreisen. In der Thal war zu seiner Zeit in der großen Oefsentlichkeit für die Nation noch nichts zu thun; stehen wir doch auch heute — wenn wir nicht auf die Vergangenheit zurückblicken, sondern vorwärts nach dem, was da kommen soll — noch in den allerersten Anfängen eines wirklichen öffentlichen Lebens. Ihm fiel noch eine vorbereitende Aufgabe zu, einzuwirken auf die Erziehung der Nation zu politischem Denken, zu Selbständigkeit nnd Schärfe des politischen Urtheils, auf die Zerstörung der sklavischen Befangenheit des Geistes, die jahrhundertlanger Despotismus erzeugt hatte.
Eine solche Geschichtschreibung zu praktischen Zwecken war damals so neu in Deutschland, wie sie jetzt alltäglich ist. Sie hatte sich bereits in der Geschichte der bilderstürmenden Kaiser angekündigt, sie trat deutlicher hervon in der Geschichte der alten Welt, ihren höchsten Ausdruck erreichte sie bekanntlich in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts. Allein für die Geschichte der Wissenschaft sind die Schlosser'schen Werke vielleicht noch wichtiger durch ihren universalhistorischeu Grundzug, und es ist eine Verkennung der Natur und der Anlage des Werkes, wenn man die Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts aussondert und als „Staatengeschichte" bezeichnet. Der Unterschied liegt nur in der detaillirteren Ausführung. Mit Bewußtsein wird auch hier Alles hintangesetzt, was bloß für die Geschichte eines einzelnen Staates von Wichtigkeit ist; hält man die Stellen zusammen, wo Schlosser ausdrücklich motivirt, warum er auf einzelne, oft höchst interessante Punkte nicht naher eingeht, so ergibt sich, daß sein Verhalten durch die größere oder geringere Bedeutung der Thatsachen für die allgemeine europäische Entwicklung bestimmt wird. Es ist auch kein Zufall, am Wenigsten durch eine Buchhändler- speculatiou veranlaßt, daß sich Schlosser in seinem hohen Alter entschloß, seine Hauptwerke zusammenziehen und zu einer „Weltgeschichte" redigiren zu lassen, und die paar Bände, die er für dieses Unternehmen neu schrieb, um die Lücke, welche zwischen dem Ausgange des Mittelalters und dem Beginn des achtzehnten Jahrhunderts geblieben war, auszusüllen, gehören zu seinen charakteristischsten Leistungen. Die meisten Historiker würden es mit Recht als eine Beleidigung betrachten, wenn man ihnen zumuthen wollte.