Heft 
(1880) 39
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Franz Rühl in Königsberg.

das, was sie geschrieben, in einen Auszug zu bringen, und die Bemerkung hat etwas Wahres, die Lectüre eines Buches, ans dem man einen Auszug machen könne, dürfe man sich noch mehr abkürzen, indem man es gar nicht lese. Bei Schlosser liegt die Sache anders. Seine Hauptwerke sind schon in ihrem Ursprung als Bruchstücke eines größeren Ganzen gedacht; alles Detail ist nur zur Erläuterung und zum Erweise der leitenden Ideen gegeben, ans die es dem Verfasser allein ankommt; künstlerische Form hat keines: so ergibt sich der Gedanke der Zusammenziehung, so zu sagen einer Verdichtung fast von selbst. Im Grunde stellt sie doch auch wieder nur die Synthese in der Entwicklungsgeschichte dieser Schriften dar; sie kehren gleichsam zu ihrer ersten Gestalt zurück, nur geläutert und vertieft durch die inzwischen eingetretene Würdigung und Verwerthnng eines ungeheuren empirischen Stoffes.

Schlosser ist der letzte deutsche Universalhistoriker im großen Stil gewesen. Heute herrscht in den Kreisen der Historiker eine bald versteckt, bald offen ausgesprochene Abneigung gegen Universalgeschichte überhaupt, so sehr man es auch liebt, bei der Betrachtung allgemeiner Verhältnisse zu verweilen und ihre Einwirkung auf die Vorgänge, die man jeweilig behandelt, hervorzuheben. Es ist daher wohl der Mühe werth, der Auffassung, die Schlosser von der Universalgeschichte hatte, und der Frage nach ihrer inneren Berechtigung einige Aufmerksamkeit zu schenken. Er fußt hier im Wesent­lichen auf Schlözer. Schlözer hat den Begriff der Universalgeschichte eigentlich geschaffen, und Schlosser hat ihn, wie Lorenz mit Recht bemerkt, nur verschärft. Indem Schlözer mit der alten theologisch-scholastischen Auffassung, mit dem Begriff derHauptnationen" bricht, weist er der Universalgeschichte als Gegenstand alle Völker der Welt zu.Ohne Vaterland", heißt es bei ihm, ohne Nationalstolz verbreitet sie sich über alle Gegenden, wo gesellschaftliche Menschen wohnen, und überschaut mit weitem Blick die ganze Bühne, auf welcher jemals Rollen gespielt worden sind. Jeder Welttheil ist ihr gleich. Sie weidet ihre Neugier so gut am Hoangho und Nil, als an der Tiber und Weichsel". Wenn wir dann weiter fragen, welche Lebensäußerungen der Völker ihr Interesse in Anspruch nehmen dürfen, so erhalten wir eine ebenso umfassende Antwort.Sie ist weder Staats-, noch Religions-, noch Handels-, noch Kunst-, noch Gelehrten-Geschichte, sondern aus allen zusammen borgt sie, ihrer Bestimmung getreu, Begebenheiten, die den Grund erheblicher Revolutionen des menschlichen Geschlechtes enthalten". Nur eine einzige Beschränkung wird beigefügt:Eine Zeit ohne verzeichnete Begebenheiten ist eine unbekannte, folglich für die Geschichte keine Zeit". Man sollte meinen, das wäre genug, aber Schlosser geht in der That noch einen Schritt weiter. Was Schlözer Universalgeschichte genannt hatte, das nennt er Weltgeschichte und bezeichnet es alsdie Geschichte der einzelnen Völker nach der Zeitsolge geordnet". Universalhistorie ist ihm dagegendie Geschichte der Menschheit als ein zusammenhängendes Ganze betrachtet". Damit stürzt denn natürlich