Heft 
(1880) 39
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Friedrich Lhristoxh Schlosser. - 36 s

auch die Beschränkung auf dieverzeichnet" Geschichte und wird die Universalgeschichte an die Anthropologie und die Naturwissenschaften über­haupt angeknüpft. Schlosser hat bitteren Ernst mit diesen Forderungen zu machen gesucht, und seine Geschichte der alten Welt beginnt mit einem Abriss der Geologie. Eine ähnliche Erweiterung erfährt der Inhalt der Universal­geschichte. Schlözer hat unter seinen ,Revolutionen^ nur politische Um­wälzungen verstanden, Schlosser dehnt den Begriff aus auf die Umwandlungen des Geisteslebens und der Cultnr überhaupt.

Bei der Schlosser'schen Definition der Universalgeschichte aber stehen wir im Grunde noch heute. Hier und da ist einmal ein Universitätslehrer noch darüber hinausgegangen; in der Schriftstellerwelt ist, soviel wir wissen, nur ein einziges solches Unternehmen zu verzeichnen, Karl Riels geistreiches WerkNatur und Geschichte", und das ist ein Torso geblieben. Unsere Hand­bücher der Weltgeschichte glauben aber damit, daß sie eine der Schlosser'schen uachgebildete Begriffsbestimmung au die Spitze stellen, ihrer Pflicht vollauf Genüge geleistet zu haben; in Wirklichkeit sind sie nur halb synchronistisch, halb ethnographisch geordnete Geschichten verschiedener, meist europäischer Staaten. Sieht man freilich genauer zu, so findet man, daß auch Schlosser sich mit der von ihm selbst gestellten Aufgabe viel leichter abgefunden hat, als man nach dem Anlauf, den er nimmt, erwarten sollte. Es ist eine bittere und scharfe, aber wohlverdiente Kritik, die Lorenz hier ausübt, wenn er ihm vorwirft, daß er die ungeheure Welt der buddhistischen Völker kaum berührt habe, daß die Semiten mit einem literarisch-culturhistorischen Raisonne- ment abgemacht würden, daß sich dann etwa nur das Jahr 500 vor Christus der Ton plötzlich ändere, Kraft und Aufmerksamkeit des Historikers sich von da an auf die staatlichen Vorgänge bis in ihre kleinsten Umstände erstreckten. Es ist ebenso richtig, daß sich diese Mängel in den mittleren und neueren Zeiten nicht vermindern, sondern eher noch steigern. Aber es ist nicht richtig, was Lorenz über das Princip sagt:Nach wie vor ist alles das,

was die Weltgeschichte für die Vergangenheit der Menschheit zu leisten ver­spricht, nicht viel mehr als eine Phrase, und muß mit jeder neuen Entdeckung, welche im Gebiete der Sprachwissenschaften, im Gebiete der Geographie und Ethnographie gemacht wird, in immer größerem Maßstabe leere Phrase bleiben. Eine die Menschheit erschöpfende Universalgeschichte ist für jeden Einzelnen ein frommer Wunsch seiner Erkenntniß, eine Befriedigung in großem Sinne wird hierin ein Sterblicher so wenig zu erlangen fähig sein, als Jemandem gelingen mag, den gesammten Umfang alles menschlichen Wissens und aller menschlichen Erfahrung in sich zu vereinigen und auszunehmen".

Mit dem Einwand der ,,Phrase" kann man gegen die Aufstellung all­gemeiner Principien in jeder nicht rein mathematischen Wissenschaft operiren; heuristische Hypothesen wären für eine solche Betrachtung unter allen Um­ständen von Uebel. EineBefriedigung im Großen" kann ein Sterblicher in keiner Wissenschaft empfinden, wenn er überhaupt weiter zu denken fähig

Nord und Süd. XIII. 3g. 25