Heft 
(1880) 39
Seite
363
Einzelbild herunterladen

363

Friedrich Lhristoxh Schlosser. -

gewußt zu werden? Das wird man bei Schlosser am wenigsten voraussetzen wollen. Liegt da nicht der Gedanke nahe, daß es ein innerer Grund

gewesen, der Schlosser halb unbewußt von dem ursprünglich aufgestellten Plane abweichen ließ? Man braucht sich in der That nur die synchronistischen Uebersichten von Schlözer anzusehen, um inne zu werden, daß eine Verbindung beispielsweise der Geschichte von Hinterasien mit der der klassischen Völker für die Betrachtung völlig ergebnißlos ausfällt. Gehen wir noch etwas weiter: wenn wir die Geschichte der amerikanischen Culturstaaten vor der Entdeckung der neuen Welt noch so genau kannten, wäre es möglich, sie mit der Geschichte des europäischen Mittelalters irgendwie in Verbindung zu

setzen? Welche Vorzüge würde hier eine synchronistische Behandlung vor der rein ethnographischen voraus haben? Es muß doch wohl in dem Begriff Geschichte der Menschheit" irgend etwas mangelhaft sein. So ist es in der That. Es gibt keineMenschheit" im historischen Sinne, so wenig, wie es eineallgemeine Christenheit" gibt. DieMenschheit" als Ganzes ist erst im Werden begriffen. Alle Geschichte beginnt mit der Vereinzelung. Die

Horde ist älter, als der Staat, die Staaten sind älter, als die Staatensysteme.

Wer die weltgeschichtliche Entwicklung gleichsam aus der Vogelperspective überschauen könnte, würde zuerst die einzelnen Staaten ganz isolirt für sich sehen; erst im Laufe der Zeit bilden sich durch ihre gegenseitige Einwirkung Beziehungen heraus, die zu einer Bedingung der Entwickelung des einen Staates durch die des anderen führen und somit alle in einen unlösbaren Zusammenhang bringen. So entstehen gewisse Culturkreise an verschiedenen Punkten der Erde, ihrerseits gleichfalls zunächst gegen einander abgeschlossen. Erst ihr Zusammenstoß, das ihnen allen innewohnende Bestreben, sich einander anzuähnlichen, vermittelt dann den weiteren Fortschritt. Von einerMensch­heit" als solcher aber kann im Ernst für den Historiker erst die Rede sein, wenn die sämmtlichen Culturkreise der Erde in eine und dieselbe geistige Be­wegung hineingezogen sein werden, wenn man also z. B. den Rückschlag einer Staatsumwülzung in Paris in Peking ähnlich empfindet wie in Berlin. Es ist für eine wirkliche Universalgeschichte im Schlosser'schen Sinne mindestens um ein Jahrtausend zu früh.

Bis dahin bleibt nichts übrig, als die Geschichte der einzelnen Eultur- kreise abgesondert darzustellen und Alle andern nur so weit zu berücksichtigen, als sie von demjenigen, den man behandelt, Einwirkungen erfahren oder an ihn ausgeübt haben. Im anderen Falle entsteht doch nichts, als ein Conglo- merat von Einzelgeschichten, bei dem der Leser nicht bemerken würde, daß er etwas verlöre, wenn auch die eine oder die andere ganz und gar wegfiele.

Diese Sätze gehören zu den wenigen, welche sich aus dem abgelaufenen Stück Geschichte empirisch begründen lassen, und es ist bezeichnend, daß der erste Universalhistoriker der Griechen austritt, als man durch die Unter­nehmungen des Dareios und Zierxes inne geworden war, daß Griechen und Orientalen zusammengehören wie Pol und Gegenpol, und daß der größte

2^