Heft 
(1880) 39
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Franz Rühl in Königsberg.

auftrat, als durch den Couslict Makedoniens mit Rom endlich die vollkommene Einheit dessen hergestellt worden war, was man alte Geschichte nennt.

Die formale Seite, die Definition des Begriffs der Universalgeschichte ist übrigens das Einzige, wodurch sich Schlosser allenfalls als alten Göttinger zu erkennen gibt; sonst hat er mit den kgl. großbritannischen und kurfürstlich hannöverischen Hofräthen nichts gemein. Man könnte eher bei Herder eine der seimgen verwandte Auffassung suchen. Und doch steht er auch zu diesem in einem so schroffen Gegensätze! Er muß dieIdeen" wiederholt auf das Eingeh endste studirt haben, es ist aber kaum möglich, herber darüber zu urtheilen, als er gethau. Vielleicht nicht am wenigsten, weil er so tiefe Eindrücke von dem Buche empfangen, wie denn überhaupt seine heftige, oft ironische und sarkastische Gegnerschaft gegen die weltgeschichtlichen Construc- tionen philosophischer Systeme gelegentlich darauf hinzudeuten scheint, als sei er selbst einst in solchem Wahn befangen gewesen und erst spät zu der Einsicht gekommen, daß in der Geschichteohne vorhergegangeue Anschauung des Einzelnen alles Absprechen hohl und eben darum schief" sei, daß eine voll­kommene Kenntniß des geschichtlichen Stoffs allem Philosophien darüber vorangehen müsse. Eine gewisse, oft staunenswerthe Gleichgiltigkeit gegen die Thatsachen an sich hat er immer behalten; unzählige auffallende Fehler hat er gleichmüthig begangen und eingestanden, denn für seinen eigentlichen Zweck kam nach seiner Meinung nichts darauf an, glaubte er doch sogar, daß eine Universalgeschichte möglich sei, welche von allen Eiuzelnheiten fast völlig absehe. Die Thatsache selbst ist ihm todt; sie gewinnt nur Leben durch die Ideen, die sich daran aufweisen lassen, und er unterscheidet sich von den theologischen und philosophischen Geschichtsconstructoren im Princip nur dadurch, daß er nicht die Thatsachen aus den Ideen verstehen, sondern die Ideen aus den Thatsachen erkennen will.

Für den Universalhistoriker muß denn natürlich Auswahl und Stellung der Thatsachen die Hauptsache, seine Behandlungsweise grundverschieden von derjenigen sein, die blos die Dinge erzählen will,wie sie wirklich gewesen". Dennwer die Verbindung des Einzelnen mit dem Ganzen zeigen, einen Gedanken durch seine ganze Erzählung durchführen will, muß seine eigene Meinung aussprechen und darauf verzichten, aus Urkunden, Nachrichten, Denk­malen dasjenige enthüllen zu wollen, was seiner Natur nach nur errathen, nicht bewiesen werden kann", woraus dann freilich sofort wieder die Be­schränkung folgt, daß er sein Urtheil selbst, als nothwendig vielfachem Jrrthum unterworfen, nicht mit der Geschichte selbst verwechseln darf.

Jeneneinen Gedanken" aber entnahm Schlosser aus Kant. Kant, von seiner Theorie ausgehend, daß jedes vernünftige Wesen sich Selbstzweck sei, betrachtete die Geschichte der Menscheugattung als die Vollziehung eines ver­borgenen Plans der Natur, um eine innerlich vollkommene Staatsverfassung zu Stande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit völlig entwickeln könne. Schlosser läßt hier, ähnlich wie er sich Schlözer gegenüber verhielt, die vollkommene Staatsver-