Heft 
(1880) 39
Seite
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- Friedrich Christoph Schlosser. - 36ö

sassung als ein zu enges Ziel fallen, und bezeichnet als Aufgabe der Uni­versalgeschichte, als Resultat aller Erfahrungen durch Darstellung der Ge­schichte unseres Geschlechts zu beweisen versuchen, daß es unter steten Revo­lutionen nach und nach weiter zu größerer Vollkommenheit sich entwickelt habe. Sieht man dann zu, wie er das durchgeführt hat, so begegnet man beständig einer praktischen Anwendung des gleichfalls ans Kant abgeleiteten Schillerschen Satzes, daß der Einzelne vermöge seines freien Willens zwar den Zwecken der Geschichte widerstreben könne, daß aber die Geschichte diese selbstsüchtigen Zwecke zu vernünftigen Zwecken der ganzen Menschheit umkehre. In der Theorie freilich weicht Schlosser hier wieder von Schiller ab, indem er feinen eigenthümlichen Gottesbegriff einführt und geradezu an die Spitze stellt, nicht ohne einen Ausdruck mitleidiger Verachtung gegen diejenigen, welche diese Hypothese" für ihre Untersuchung nicht nöthig zu haben glauben. Daß eine derartige Auffassung im Grunde doch wieder auf eine philosophische Con- struction hinausläuft, ist klar, und daß man zu verschiedenen Resultaten kommen wird, je nachdem man von dem einen oder dem anderen philosophischen System ausgeht, nicht minder. Wer aber Schlosser einen Vorwurf aus dem Princip seines Verfahrens machen will, wird nachzuweisen haben, wie man auf einem andern Wege zu einem vernünftigen Begreifen der Geschichte gelangen kann.

Man würde indessen irren, wenn man annehm en wollte, daß Schlosser die universalhistorische Behandlungsweise für die einzig angemessene gehalten oder auf die anderen Arten der Geschichtsschreibung von oben herabgesehen habe. Er setzt vielmehr die Bekanntschaft mit andersartigen Darstellungen bei seinen Lesern überall voraus, da es ihm, wie Ranke, immer widerstrebt hat, oft Erzähltes auf's Neue zu erzählen; er verfehlt selbst nicht hervorzn- heben, daß z. B. der Engländer, der praktischen Gebrauch von der Geschichte seines Landes machen wollte, eine Geschichte verlangen müsse, die von ganz anderen Gesichtspunkten ausgeht und ganz andere Umstände in den Vorder­grund rückt; er betont endlich wiederholt, daß, wer politische Geschichte schreiben wolle, ganz anders verfahren müsse, als er selbst gethan, daß es für diesen höchstes Gesetz seiseine eigenen Gedanken so wenig als möglich einzumischen". Selbst der Geschichtsschreibungfür Diplomaten" läßt er ihr Recht widerfahren und eigentliche Abneigung zeigt er nur gegen die sogenannte antiquarische Behandlung. Sie schien ihm den Boden der eigentlichen Geschichte zu verlassen, die es nicht mit Zuständen, sondern mit dem Geschehen zu thun habe, und er scheint gefürchtet zu haben, daß sie die Wissenschaft, die erst zu seiner Zeit zur Selbständigkeit gelangt war, zur Dienerin der Philologie Herabdrücken werde. Vor Allem aber meinte er, sie führe ab von dem, was die Zeit brauche und wende ihren Fleiß auf Dinge, die nicht mehr Werth seien als das, womit sich die Historiker vor der Aufklärungsepoche herumschlugen.

So wenig wir heute geneigt sein mögen, dem Schlosserschen System der Universalgeschichte ein anderes, als ein blos historisches Interesse zu