Heft 
(1880) 39
Seite
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366 - Franz Rühl in Königsberg. -

widmen, so werden wir doch zwei Punkte hervorheben müssen, in denen sein Urheber bleibende Bahnen für die Wissenschaft gebrochen hat und sein Verdienst wird dadurch nicht geringer, daß seine Neuerungen heute als selbst­verständlich erscheinen. Wir haben ihm eine ganz veränderte Auffassung großer Perioden der Geschichte zu verdanken; für die Betrachtung des Mittel­alters ist er epochemachend geworden. Byzantiner, Araber und Normannen hat er zuerst an ihren richtigen Platz gestellt und auch die heutige Behandlung der römischen Kaiserzeit kann den Schlosserschen Einfluß nicht verleugnen. Er zuerst hat sie anders, denn als bloße Verfallszeit angesehen und mit Vorliebe sein Augenmerk auf die beginnenden Neubildungen gerichtet. In der alten Geschichte stammen überhaupt zahlreiche jetzt gang und gäbe Ideen von ihm her, und es verdient bemerkt zu werden, daß bereits Schlosser die Begrenzung der alten Geschichte durch die Erhebung des Odoaker hat fallen lassen. Was aber am meisten neu war bei Schlosser, wodurch er eine wirkliche Revolution in der Geschichtsschreibung hervorgebracht hat, das war die Verbindung, in welche er die Geschichte der Cultur, insbesondere der Literatur, mit der politischen Geschichte setzte. Und doch hat ihm un­mittelbar nach seinem Tode schnöde Verunglimpfung auch diesen Ruhmeskranz rauben wollen. Als wenn es einerlei wäre, Verbindungslos herausgegriffene Größen der Nationalliteratur chronologisch in die Weltbegebenheiten einzu­reihen und den Zusammenhang und das gegenseitige Bedingen der politischen und der literarischen Bewegung aufzuweisen! Man wird im Gegentheil gestehen müssen, daß nicht nur Schlosser in seiner eigenthümlichen Art keinerlei Vorgänger hatte, sondern daß ihn auch unter den Spätern Wenige erreicht haben, Keiner übertroffeu hat. Er geht freilich einen Weg, den der Literar­historiker nicht gehen kann und Gervinus, der von den Schlosserschen An­regungen zur Begründung der wissenschaftlichen Literaturgeschichte kam, war sich der Nothwcndigkcit dieses obwaltenden Unterschieds wohl bewußt. Schlosser verfolgt, und mit vollem Recht, die Geschichte der Wissenschaft mit nicht geringerer Aufmerksamkeit, als die der Nationalliteratur; er muß Vieles

vernachlässigen, was der Literarhistoriker breit zu behandeln hat, und anderes ausführlich darlegen, was für jenen gleichgiltig ist. Denn nicht die Be­deutung der einzelnen Geisteswerke an sich ist für ihn von Werth, sondern die Wirkung, die sie ausgeübt und die Zeitströmungen, die sie wiederspiegeln. So vergißt er z. B. nicht bei dem Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts die Stellung der verschiedenen Schulen hervorznheben, die sich an den

Universitäten gebildet hatten. Hier ist ein Hauptpunkt, wo ihm seine Poly­historie befruchtend zu Statten kam: welcher Historiker möchte sich heute wohl daran wagen, die Geschichte der exacten Wissenschaften im Alterthum in seine Darstellung aufzunehmen? Dem gegenüber fällt ein Mangel um

so schmerzlicher auf: die gänzliche Vernachlässigung der bildenden Kunst.

Daß Schlosser ihre historische Bedeutung ganz entgangen sein sollte, kann man kaum annehmen. Daß er aber empfunden habe, wie sie am allerun­bedingtesten den Geist der Zeiten ausspreche, muß man bezweifeln. Es war