Heft 
(1880) 39
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Friedrich Lhristoxh Schlosser.

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eine persönliche Schranke in ihm, die ihm hier hemmend entgegentrat; es ging ihm alles Kunstverständniß vollständig ab, selbst der Umgang mit Boisseree hat es nicht zu Wecken vermocht.

Indessen die Haupteigenthümlichkeit der Schlosserschen Geschichts­schreibung liegt, wie oben hervorgehoben, in ihrer praktischen Tendenz und eben darauf beruht der größte Theil ihrer Wirkung. Er will Propaganda für seine Ansichten machen, d. h. für die Errungenschaften des Geistes des achtzehnten Jahrhunderts. Man hat behauptet, er habe diese seine Ansichten je nach den Zeitbedürsnissen modificirt, scheinbar nicht ohne Grund, denn daß er dieselben Dinge und Personen zu verschiedenen Zeiten einer ganz ver­schiedenen Beurtheilung unterzieht, ist unleugbar. Aber jene Behauptung zeugt doch von sehr oberflächlicher Bekanntschaft mit seinen Werken. Er setzt ja immer die Kenntniß, häufig die Vergleichung anderer Darstellungen voraus, insbesondere übergeht er in der Regel, was er selbst anderswo schon einmal gesagt hat. Die scheinbaren Widersprüche entstehen dadurch, daß er jedesmal diejenige Seite herauskehrt, von der er glaubt, daß die obwaltende Zeit­strömung Nutzen daraus ziehen könnte. Ein so tief gebildeter Geist wie der seinige konnte unmöglich den wechselnden und stets einseitigen Stimmungen des Tages unterliegen, und er sah sich veranlaßt, hielt es sogar vielleicht für Pflicht, gerade auf das aufmerksam zu machen, was die öffentliche Meinung tibersah. Ein Gesammtbild von Schlossers Meinung über Dinge und Menschen kann man nur erhalten, wenn man in jedem einzelnen Falle Alles zusammen­nimmt, was er überhaupt darüber geäußert. Es ist dies ohne Zweifel ein schwer wiegender Mangel: dem praktischen Nutzen für die Gegenwart wurde der dauernde Werth für die Nachwelt bis zu einem gewissen Grade aufgeopfert. Es hängt aber auch wohl mit einem anderen Fehler Schlosserscher Geschichts­schreibung zusammen, der ungenügenden Berücksichtigung der Jndividnaliät der geschichtlichen Personen. Nirgends finden wir ein ausgeführtes Charakter­bild, nirgends jene feinen psychologischen Analysen, durch die uns Ranke entzückt; es scheint fast, als sollte der Mensch für den Geschichtsschreiber ver­schwinden und nur die That für sich dastehen.

Wenn sonst die Rede auf die Fehler Schlosserscher Geschichtschreibung kommt, so Pflegt man gewöhnlich von der Forschung zu reden. Daß diese den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt, ist ohne Weiteres zuzugeben, auch wenn man von den zahlreichen Ungenauigkeiten im Einzelnen absieht. Daß sie aber zu ihrer Zeit einen bedeutenden Fortschritt darstellte, wird man doch auch nicht bestreiten können, insbesondere dann nicht, wenn man bedenkt, welche Zeiträume seine Werke umspannen und wie wenig auf den meisten Gebieten vorgearbeitet war. Man wird Respect vor ihm bekommen, wenn man sich klar macht, in welchem Umfange er z. B. die alte Literatur herangezogen hat, welche Vorstudien er für nöthig hielt, um die Scholastiker, d. h. den Geist des Mittelalters, zu verstehen. Auch zu der Methode der Forschung, die Ranke ausgebildet hat, steht er kaum in einem so principiellen Gegensätze, wie man vielfach annimmt. Er gehörte zu den ersten unter den neuern