Heft 
(1880) 39
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Franz Rühl in Königsberg.

deutschen Historikern, welche archivalische Studien in größerem Umfang machten; er war aber freilich nicht in derselben glücklichen Lage, wie Ranke mit seinen italienischen Relationen. Fast nur das pariser Archiv war damals bis auf einen gewissen Grad zugänglich, und Schlosser hat es zwei Mal längere Zeit hin­durch benutzt. Dann legte er nach Art der Alten den höchsten Werth darauf,

Mittheilungcn von Personen zu erlangen, die den Ereignissen selbst nahe gestanden, wie von GrSgoire, Schlabrendorf, Thibaudeau, den Mitgliedern der napoleonischen Familie. Dies schien ihm fast noch werthvoller, als das Actenmaterial, weniger wegen des positiven Werthes dieser mündlichen Angaben, die im Einzelnen vielfach irrig fein mußten, als wegen der Einsicht in den ganzen Geist und die Anffassnngsweise der Zeit und der Handelnden, die auf diesem Wege in der That sehr viel leichter und sicherer zu gewinnen ist, als aus den Urkunden. Daß Andere, mit anderen Zwecken an die Dinge herangehend, sein Material in ganz anderer Weise genutzt haben würden, ist natürlich. Leugnen läßt sich aber nicht, daß Schlosser diplomatische Berichte als Geschichtsquellen überhaupt nicht sehr hoch anschlug. Er hatte zu gründlich Gelegenheit gehabt, die Diplomaten kennen zu lernen, um vor ihrer Weisheit und ihrer Wahrheitsliebe allzu große Achtung zu haben; skeptisch und kühl steht er auch den zeitgenössischen Geschichtsdarstellungen der handelnden Staats­männer gegenüber, auch abgesehen davon, daß er für seine Art von Geschichts­schreibung nur bedingten Gebrauch davon machen kann. Es ist nicht schwer von dem Standpunkt modernerMethode" auf den alten Meister herabzusehen, allein bereits Lorenz hat mit Recht hervorgehoben, wie wenig feste Grund­sätze doch in der Benutzung archivalischer Urkunden bis jetzt zur Geltung gelangt seien. Eine gewisse Reaction gegen das heute beliebte Verfahren thäte Noth und hat auch glücklicherweise schon angefangen, sich Bahn zu brechen. Es wird eben nicht jeder Wisch zu einer Urkunde, weil er ungedruckt in einem Archiv liegt, und der Bericht eines Junkers, der eine Gesandtschafts­stelle erschnappt hat, muß mit anderen Augen angesehen werden, als eine venetianische Relation.

Die Absicht der Hauptwerke Schlossers geht im Wesentlichen auf die Belehrung und Warnung der Gegenwart durch die Betrachtung vergangener Zeiten, aber nicht so, daß er zeigt, wie die Dinge gemacht werden, was der praktische Staatsmann fordern würde, sondern so, daß er die Weltgeschichte auftreten läßt als Weltgericht- Rücksichtsloseste Wahrheitsliebe erscheint hier natürlich als erstes Gesetz und zwar eine Wahrheitsliebe, die nicht nur nichts Falsches sagt, sondern die vor Allem auch Nichts verschweigt, was zur Beurtheilung der Menschen gehört, die alle Sachen mit dein richtigen Namen bezeichnet. Daß er diesem Grundsatz stets treu geblieben, hat nie Jemand bezweifelt und ebensowenig, daß ihm nirgends mit Bewußtsein Vorliebe oder Abneigung die Feder geführt haben. Am Allerwenigsten wird man bei ihm jener Sorte von Patriotismus begegnen, die leider bei allen Völkern so häufig ist, welche in der Lobpreisung der eigenen Nation mit scheelen Seiten­blicken auf Fremde ihre Befriedigung sucht. Daß es ihm nichtan eigentlicher