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Franz Rübl in Königsberg.
aufkommen läßt, welches riothwendig zur bewußten oder unbewußten Heuchelei führen muß. Im Leben wie in der Wissenschaft aber hat ihm immer das als das höchste Gebot gegolten, welches Jehovah auf dem Sinai vergessen hat: Du sollst nicht lügen.
Und doch ist es so leicht, antidemokratische Aussprüche in Menge bei Schlosser zu finden! Das ist aber erst recht demokratisch, wenn anders das höchste Ziel der Demokratie die Gerechtigkeit ist. So ist es nur in der Ordnung, wenn ehrgeizige Volksführer nicht besser wegkommen, als Tyrannen und Eroberer, wenn die Jesuiten gegen Pombal in Schutz genommen werden, obwohl sie die Finsterniß bedeuten und der Markes die Aufklärung. Daß von einer sophistischen Beschönigung der Greuelthaten der Revolution keine Rede sein kann, versteht sich von selbst.
Der Standpunkt der Beurtheilung ist überall in erster Linie der moralische und zwar der einer Moral, die direct von Kant übernommen ist. Das wurde freilich schon damals vielfach verworfen und wird es heute noch mehr, wo die romantische Verklärung des „genialen Subjects" sich zur „Heldenverehrung" gesteigert hat. Solchen Angriffen gegenüber bleibt aber der Einwurf bestehen, welchen der Kritiker Schlossers in den deutschen Jahrbüchern von 1842 erhoben hat, daß die Moral, sobald man sie als Gewißheit seiner selbst nehme, ein wesentliches Moment zu dem historischen Urtheil sei. „Lassen wir sie ganz fallen", sagte er, „so ist jede Willkür, Schändlichkeit und Gemeinheit, jeder Macchiavellismus, jede Tyrannei, wenn sie nur kräftig und sieghaft auftritt, historisch gerechtfertigt: Tiberius und Ludwig XI.
erscheinen dann als große, tiefblickende, bewunderungswürdige Herrscher, Heinrich VIII. und Philipp II. als Heroen der Religion und der Kirche; Brutus aber wird zu einem Narren, und die Märtyrer aller Zeiten zu müßigen Phantasten und Schwärmern". Zu solchen Anschauungen ist, wie vordem etliche Althegelianer, so jetzt ein Theil der neuesten Generation der Historiker wirklich gekommen; wir können ja abwarten, wie lange sich diese Richtung in Gunst zu halten vermögen wird.
Hart genug freilich muß die Beurtheilung der meisten historischen Größen bei Schlosser ausfallen und er klagt selbst einmal, daß große geistige Gaben in der Regel mit sittlicher Verdorbenheit gepaart seien; aber, so führt er doch anderswo wieder aus, zu Menschenhaß und Menschenverachtung könne die Geschichte trotzdem nur den führen, dessen Herz ohne Liebe sei.
Und bereits Gervinus hat glänzend dargethan, daß der moralische Standpunkt Schlossers Werthbeurtheilung nicht erschöpfe, daß dieser im Gegentheil zu denen gehöre, welche am unbefangensten die realen Kräfte in der Geschichte hervorheben, welche die Scheußlichkeit des Charakters nicht von der Bewunderung wirklicher Größe und Kraft abhält. Immer und immer wieder predigt der gewaltige Moralist den Satz Macchiavellis, daß Gott nur den Starken und Skrupellosen helfe; in der Erzählung der Regierung Katharinas II. wie der Thaten Napoleons nicht minder, wie in