Italienische Studien.
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befähigt, uns über den Zusammenhang einer Reihe von Kunst- und Cultur- erscheinungen aus der Blüthezeit Italiens mit den allgemeinen geistigen Strömungen der betreffenden Epochen Aufschlüsse zu geben, die meist ebenso neu und überraschend, als schlagend und überzeugend sind, obwohl sie sich zum Theil auf oft schon besprochene und beschriebene Gegenstände beziehen.
Den Gesichtspunkt, von dem aus Hettuer diese Forschungen unternahm, bezeichnet er ausdrücklich durch zwei Aussprüche eines hervorragenden Kunsthistorikers und des berühmten Verfassers der Geschichte Roms, die er an die Spitze seines Buches stellte und mit meisterhafter Gewandtheit und Consequenz als rothen Faden durch den mannigfaltigen Stoff sich durchziehen läßt*). In steter dramatischer Steigerung gewährt er uns perspectivische Blicke auf wichtige Phasen und Einzelerscheinungen mehrerer Jahrhunderte, die sich in unserer Phantasie schließlich zu einem einheitlichen Bilde der ganzen, großen italienischen Kunsteutwickelung vom 13. bis 16. Jahrhundert vereinigen.
Ter gesummte Stoff, den uns Hettner vorführt, ist in sechs Hauptpartien gegliedert, die theils einzelne, theils Gruppen von Abhandlungen umfassen. Die erste Partie, aus der Eiuzelabhandlung: „Zur Streitfrage über
Niccolo Pisano" bestehend, führt uns in jene Epoche zurück, da Italiens Kunst aus barbarischer Verwilderung einerseits, sowie aus greisenhafter Verknöcherung andrerseits zuerst sich wieder zu erheben begann. Hettner tritt von Neuem mit Entschiedenheit jener Ansicht entgegen, nach welcher Niccolo Pisanos Stil aus Apulien nach Pisa verpflanzt worden wäre.
Die Frage ist zu verwickelt, als daß wir an dieser Stelle auf die Details derselben eingehen könnten; wir wollen blos hervorheben, daß Hettner die von seinen Parteigenossen in dieser Frage (insbesondere Dobbert) für ihre Ansicht bisher vorgebrachten Argumente in lichtvoller Darstellung vereinigt und noch durch einige neue verstärkt. So besonders erkennt er in den vor einigen Jahren bei einem Brückenkopf von Capua ausgefundenen drei Marmorbüsten, die als neuer Beweis für die behauptete Blüthe der süditalischeu Plastik vor Niccolo Pisauo angeführt wurden, nach Gypsabgüssen im Dresdner Museum, den spätrömischen Ursprung derselben. Ferner weist er daraus hin, daß G. Milanesi in seiner neuen Ausgabe des Vasari ein Hauptargument der Gegner ein für allemal beseitigt hat, welches
*) „Ganz wie im Leben, wie in der Natur, ist in der Kunst Nichts schön, was nur der Schönheit willen schön sein will; die nöthige Wesenheit ertheilt aber dem Kunstwerk dessen unmittelbarer Zusammenhang mit dem gesammten Leben der Zeit, aus deren echtem, tiefgefühltem Verlangen und Bedürfen dasselbe hervorgegangen ist". Rumohr, Jtal- Forschungen, 3, 131.
„Das große Capitel, welches die italienische Malerei in der Geschichte der Cultur einnimmt, ist gerade deshalb von so hohem Reiz, weil sie für die ganze Dogmengeschichte der Menschheit, für die innerlichsten Begriffe und Empfindungen der Zeitalter den farbigen Abdruck und Körper geschaffen hat". Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom, 8, 145.