Heft 
(1880) 39
Seite
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Italienische Studien.

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Folgerichtig entstand jetzt auch der Gedanke des Constantinsa ales. Die Schilderung der Macht der Kirche sollte begründet und erzeugt werden durch die Schilderung der Erhebung des Christenthums zur Staatsreligion und der Stiftung des Kirchenstaates".

Während in den Aufträgen für die Ausmalung der vaticanischen Stanzen mehr der äußere Einfluß der Zeitereignisse auf Raffaels Schaffen hervortritt, fo zeigen dagegen die Visionsbilder (heilige Cücilia, Vision Ezechiel, sixtinifche Madonna, Transfiguration), welche die letzten und herrlichsten seiner Schöpfungen sind, wie der allmählich sich umwandelnde Zeitgeist auch auf Raffaels innerstes Seelenleben, dessen Ausdruck jene Gemälde sind, auf's Tiefste einwirkte.Das Pfäffifche und herrschfüchtig Hierarchische wies Raffael unmuthig von sich ab, das bekunden die Bilder der 8tanM ästl' inosnckio unwiderleglich. Aber das erhöht religiöse Leben, wie es feit der Eröffnung des lateranifchen Concils in immer weitere Kreise drang, fand im Schöpfer der Oispnta den lebhaftesten Wiederhall".Wir stehen vor einer höchst denkwürdigen Wendung. Das dämonisch Visionäre ist einer der hervorragendsten Züge in Raffaels letzten Lebensjahren".

Im dritten Capitel des V. Abschnitts bespricht Hettner Michelangelos Verhältniß zu den geistigen Zeitrichtungen, wie es sich in feinen Fresken in der sixtinifchen Capelle offenbart.

Zunächst giebt er eine kurze Ileberficht der Malereien dieser Capelle, die noch im 15. Jahrhundert ausgeführt wurden, und betont, daß auch sie nach einem einheitlichen, kirchlichen Grundgedanken entworfen wurden. (Wenn er als Baumeister der im Jahre 1473 unter Sixtus IV. erbauten 6aps11a Listina den Baccio Pontelli anführt, so scheint diese Annahme nach Milanesis neuesten Forschungen hinfällig zu fein.)

Es folgte die zweite gewaltigste Episode in der Geschichte der sixtinifchen Capelle. Es folgten die Deckengemälde Michelangelos.Sie find die eigenste That des Künstlers; auch in ihrem tiefen Ideengehalt".Liebe­voll und feinsinnig suchte sich auch die Erfindung Michelangelos dem Vor­handenen anzufchließen". Trotz der kirchlichen Symbolik stammt aber der gestaltende Grundgedanke bei ihm aus der platonischen Philosophie. Der christliche Begriff des Sündenfalls und der Erbsünde war in den neuen Florentiner Platonikern erweitert und vertieft worden durch die platonische Anschauung von der eingebornen Tragik der himmelentstammten Menfchen- seele" . . . Aus dieser platonifirenden Auffassung des Christenthums erklärt Hettner auch die bisher räthselhaft gebliebenen weiblichen Gestalten inmitten der Engelschaaren, welche Gottvater bei der Erschaffung von Sonne und Mond, sowie der Erschaffung Adams umgeben.Nur Plato giebt Antwort auf diese Räthsel".In jenem ersten Bild ist die Perfonification der Welt- feele, im zweiten die Perfonification der Menfchenfeele. Das Vorbild war die antike Darstellung der Psyche".

Auch bei Michelangelo aber findet Hettner einen analogen Uebergang