Heft 
(1880) 39
Seite
384
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Hans Semper in Innsbruck.

38st

vom platonischen zum gegenresormatorischen Christenthum in dessen Werken ausgeprägt, wie bei Raffael.Der Meister des Jüngsten Gerichtes ist ein Andrer als der Meister der Deckengemälde".Michelangelo, der Schöpfer des Jüngsten Gerichtes, ist nicht mehr der begeisterte Anhänger der platonischen Philosophie; er ist der zornmüthige Parteigänger des wieder­erstandenen kirchlichen Eifers".

Der letzte Abschnitt des Buches (VI.) wendet sich einer wieder etwas vorgerückteren Periode, der Spätrenaissance, und zwar hinsichtlich deren Literatur wie Kunst zu. Im ersten Capitel:Das Renaissancedrama und die Vitruvianer und Manieristen", scheint uns das Band, durch welches diese heterogenen Stoffe aneinandergeknüpft sind, etwas locker. Wenn Hettner den Mangel einer echten Tragödie der Renaissance mit folgenden Worten erklärt:Tragödie ist nur möglich in Völkern und Zeitaltern,

welche Gewissen haben. Deshalb hatten die Römer keine Tragödie. Und deshalb hatte auch das Zeitalter Cesare Borgias und Machiavellis keine Tragödie", so scheint uns dieser Ausspruch im Ganzen doch etwas zu herbe. Wir glauben eher, der Grund sei in dem Unvermögen des Renaissance­zeitalters zu suchen, die verschiedenen, gleich mächtigen und sich widersprechenden Culturelemente, die auf dasselbe eindrängten, zu einer harmonischen, konsequenten Weltanschauung durchzubilden. Christenthum und Alterthum, ästhestische Phantasie, eingewurzelte Tradition und realistischer Forschergeist waren Factoren, die theils einander bekämpften, theils Compromisse miteinander eingingen, aber nie sich zu einer einheitlichen Gesammtanschauung verschmelzen konnten. Dazu hätte der eine oder andere dieser einander ausschließenden Factoren geopfert werden müssen. Dasselbe Urtheil wie über die Tragödie fällt Hettner auch über die Komödie der Renaissance, in welcher denn in der That auch die Frivolität der Renaissance (die aber doch nicht deren treibendes Princip, sondern nur ein Ausfluß jener Widersprüche war) besonders nackt her­vortritt.

Die antikisirende Tendenz des Epos der Spätrenaissance, welche Hettner als Ausdruck einer zunehmenden Entseelung der Dichtung auffaßt, bietet ihm endlich die etwas schmale Brücke zum Classicismus der Hochrenaissance­architektur. Das zunehmende Studium antiker Architektur scheint uns eine durchaus gesunde und nothwendige Consequenz des ersten Schrittes gewesen zu sein, welcher im 15. Jahrhundert gethan wurde, wenn auch das trotz allen Forschers und Bemühens lückenhaft bleibende Material von antiken Monumenten und in Folge dessen mangelhafte Verständnis; desselben der Kunst jener Zeit nicht in dem Maße zu Gute kommen konnte, als eine voll­ständige Kenntniß antiker Baukunst dem architektonischen Schaffen ersprieß­lich sein muß, ohne dessen Freiheit zu hemmen. Wenn Hettner von der vitruvianischen Akademie, die sich im Jahre 1542 zu Rom bildete, um die antiken Monumente Roms neu auszumessen und mit Vitruvs Vorschriften zu vergleichen, sagt:Ein sichtbares Ergebniß ist nicht aufzuweisen; aber