Aus Heinrich Leucholds Nachlaß.
Von
Mlwü Baechtold.
— Zürich —
stl Neujahr 1879 erschien bei I. Huber in Frauenfeld ein Band Gedichte, die den Namen ihres Urhebers, Heinrich Leuthold, sofort weit über die Grenzen der Schweiz hinaustrugen. Bis dahin war die Familie Leuthold hauptsächlich aus dem „Tell" bekannt gewesen ; man gestand sich, daß das Talent, die Leute zum Hutabziehen zu nöthigen, sich von Ahn zu Enkel fortgeerbt habe, und erinnerte sich zugleich, dem überaus formgewandten Poeten früher schon als Uebersetzer französischer Lyrik begegnet zu sein. Es wurde zunächst nach den üblichen Personalien geforscht, und da bekam man gar trübselige Dinge zu hören: der Dichter all' dieser schönen Sachen sitze im Züricher Jrrenhause, wahnsinnig und von einer unheilbaren Brnstkrankheit befallen. So war es auch, und ein Kritiker hatte in einem der angesehensten Blätter Deutschlands sogleich das Wort in Bereitschaft: die Trias Hölderlin, Lenau und Lenthold sei nun leider complet. Der Vergleich mit Waiblinger wäre passender gewesen.
Am 1. Juli 1879 ist Heinrich Leuthold gestorben, und die Oeffentlich- keit hat nun das Recht, das ihr bei Lebzeiten das unglücklichen Dichters Vorenthaltene zu erfahren.
Es war eine verhängnißvolle Mischung, Edles und Unedles wie grelle Farben dicht neben einander: eine Natur von unbändiger Kraft, welche zu Ausschreitungen drängte, eine freudlose Jugend, frühe Verbitterung, stachelnder Neid auf Glück und Erfolg falscher Größe, auf die mit grimmiger Verachtung herabgesehen wurde, das nagende Gefühl halber Talente, herbes, verschlossenes Mannesalter, oft selbst verschuldete Noth; — daneben aber, wenn die Stunde gut war, ein Herz voll Liebefähigkeit, „ein Auge, lechzend nach allem Schönen und eine Seele voll Wohllaut".