Heft 
(1880) 39
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Jakob Baecht old in Zürich.

Die Heimath Leutholds ist Schönenberg, unweit vom Züricher See gelegen. Es ist ein wilder Volksschlag, der hier an den Grenzen zum Canton Schwyz wächst, und diese Stammeseigenthümlichkeit hat Leuthold sein Leben lang nicht verläugnet. Es lastete wie das fluchvolle Fatum einer Schicksals- lragödie auf vier Brüdern: alle haben nach glücklosem Dasein, jeder aus ver- hängnißvolle Weise, geendet.

Vor fünf Jahren schrieb Leuthold auf Anliegen eines schweizerischen Schriftstellers seine Selbstbiographie nieder, und da ich mit dem gesammten literarischen Nachlaß zur Zeit im Besitz auch dieses Schriftstückes bin, mag dasselbe in seinem ganzen Umfange hier zum Abdruck gelangen. Es ist in mehr als einem Punkte charakteristisch, zwar so farblos und ohne jeden warmen Pulsschlag, daß man ihm die Masse auf Bestellung ohne Weiteres ansieht.

Im Jahr 1827 geboren in Wetzikon (C. Zürich), besuchte ich die dortigen Schulen und verdanke dem damaligen Secundarschnllehrer und späteren Regierungspräsidenten K. Sieber die erste Förderung meiner schon in allerfrühester Jugend erwachten Neigung zur Poesie und die Anregung zu eigenen poetischen Versuchen; besonders lebhaft erinnere ich mich der zündenden Wirkung, welche außer der Bekanntschaft mit einzelnen Werken Goethes, Schillers und Lenaus die erstmalige Lectüre von Herweghs Gedichten auf mich übte.

Nach wcchselvollen Schicksalen und einer unter dem Druck materieller Sorgen mühsam erworbenen Vorbildung für den Universitätsbesuch bezog ich nach einander alle drei schweizerischen Hochschulen, indem ich die Jurisprudenz zu meinem Brotstudium wählte, dabei aber die meisten philosophischen und beinahe alle Collegien über Literatur hörte, welche mir während meiner Studienzeit zugänglich waren. In letzterer Beziehung wirkte der damals an der Berner Universität angestelltc, als Dichter desSohn der Zeit" und llebersetzer des Aristophancs, Shakespeare, Bsranger w. bekannte Ludwig Seeger sehr anregend auf mich; noch entscheidender aber war der Einfluß, den später in Basel Wilhelm Wackernagcl und der treffliche, als Lehrer und Freund mir gleich unvergeßliche Jakob Burckhardt durch ihre Vorlesungen sowohl als durch den frequenten Privatvcrkehr auf mich übten.

Im Jahre 1848 an die Universität Zürich zurückgekehrt, lag ich beinahe ausschließ­lich den juristischen Studien ob und war eben im Begriff, veranlaßt durch das Ver­trauen und die aufmunternde Unterstützung des damaligen Justizdirectors Bollier, in den Staatsdienst einzutreten, als mir das Anerbieten einer pädagogischen Stellung plötzlich die Aussicht auf Erfüllung des langgehegten Wunsches, Italien zu sehen, er- öffnete. Ich nahm die Stelle an, welche mir einen längeren Aufenthalt in der französischen Schweiz, in Südfrankreich und Italien ermöglichte, und erwarb mir bei dieser Gelegenheit eine genauere Vertrautheit mit der neueren französischen und italienischen Literatur. Aus dieser Zeit stammen außer meinen Ucbersetzungen aus dem Französischen, von denen ich nur einen Theil in die seither mit Emanuel Geibel herausgegebenen Fünf Bücher französischer Lyrik" aufnahm, verschiedene Ucbertragungcn aus dem Italienischen und zahlreiche eigene vorzugsweise lyrische Gedichte, welche fast -alle in Genua und an der Riviera entstanden und meist noch unveröffentlicht sind. Bei einem späteren Aufenthalt in der Schweiz bestärkte mich der inzwischen zum Professor an das ncugegründetc Polytechnikum in Zürich berufene Jakob Burckhardt in meinem Entschluß, nach Deutschland überzusiedeln und mich ganz dem literarischen Beruf zu widmen, und bestimmte mich, einstweilen München zum Aufenthaltsort zu wählen, wo ich im Jahre 1857 eintraf.

Von Burckhardt an seinen Freund Emanuel Geibel empfohlen, wurde ich von dem-