Heft 
(1880) 39
Seite
394
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39H - Jakob Baechtold in Zürich.-

Wage gegen kalte Beurtheiler zu halten. Aus der ganzen Selbstbiographie tönt die Klage über Verkennung, Undank, Ungunst des Schicksals, das allen großen Plänen Leutholds grausam entgegengetreten, ihn z. B. auch verhindert hätte, nach den obersten Gattungen, nach dem Drama größern Stils, zu greifen. Man kennt diesen krankhaften Zug aus den Liedern. Was wird dort nicht Alles angeklagt! Das Vaterland, die Menschheit. Wahr islls, das Leben legte ihm manche Entbehrung auf. Wann aber war Leuthold je über die bloßen Anstalten zur ernstlichen Arbeit hinausgekommen? Warum hielt er seine Gedichte zurück? Bei aller Selbstbespiegelung, die oft zu grell auf die eigene Persönlichkeit gerichtet ist, wartete er immer auf die große Stunde, bis es zu spät wurde. Was ihm blieb, war Mißmuth und Gram um ver­lorenes Streben. Es ist die alte Geschichte:Er wußte sich nicht zu zähmen und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten".

Und doch nicht ganz. Zeuge dessen die während seiner letzten Krankheit gesammelten Gedichte, welche Leutholds Namen nicht in der großen Fluth unserer Zeit werden untergehen lassen. Sie reichen zumeist in die fünfziger Jahre zurück, manche auf das Jahr 1848. Die glücklichsten Zeiten seiner Muse waren die Tage im Süden, da die Ghaselen oder der schöne Lieder- cyclusan der Riviera" entstanden. Der Rest fällt zumeist in den Anfang der siebenziger Jahre. Die Sichtung und Ausgabe der Gedichte lag mir ob, und Gottfried Keller unterstützte mich mit seinem Rath, wie er auch der erste war, der das Büchlein dem Publikum vorstellte. Nachher kamen die Kritiken förmlich geregnet. Ein Formtalent ersten Ranges und ein echter Lyriker, lauteten übereinstimmend die enthusiastischen Urtheile; und dabei wird es auch seine Giltigkeit haben. Die Ghaselen in erster Linie, die Oden, manche Sonette, welche sich allerdings zum großen Theil auf Gefilden bewegen, die Platen abgewandelt hat, werden dem Besten ihrer Art beigesellt bleiben. Aeußere Schönheit ist durchweg der Charakter der Leutholdstchen Poesie. Die Form ist dergestalt bestrickend, einschmeichelnd, daß sie nur zu oft über den innern Gehalt hinwegtäuscht. Denn dieser hat das einförmige Gepräge des Vanitas, vanitatunr vanitas", die, nachdem die Fackel der Leidenschaft aus­geschwungen ist, als trüber Niederschlag bleibt. Es fehlt die Tüchtigkeit und die Ursprünglichkeit.

Mit der zunehmenden Brustkrankheit nahm auch des Herzens Bitterniß überhand. Die Satire war ein Grundzug seines Wesens. Die Mitglieder des MünchenerKrokodil" erinnern sich, wie Leuthold bei ihren Festmahlen von Stuhl zu Stuhl ging, um den Fröhlichen irgend einen Dorn in's blühende Fleisch zu setzen. Lange ließ man sich den Schalk gefallen, das kaustische Originell wirkte oft erfrischend und erheiternd. Aber mehr und mehr über­wog der Dämon in ihm, und immer einsamer wurde es um ihn her. Monate lang verhielt er sich völlig zurückgezogen, er arbeitete für des Lebens Noth- durft und brütete über dichterischen Plänen; gegen die wenigen theilnehmenden Freunde die Andern hatte er sich nach und nach entfremdet verharrte