lieber G. E. Lessing. II.
§07
Victoria, mit uns ist Gott,
Der stolze Feind liegt da!
Er liegt, gerecht ist unser Gott,
Er liegt, Victoria!
Zwar unser Vater ist nicht mehr,
Jedoch er starb als Held, lind sieht nun unser Siegesheer,
Vom hohen Sternenzelt.
Er ging voran, der edle Greis,
Voll Gott und Vaterland!
Sein alter Kopf war kaum so weiß,
Als tapfer seine Hand.
Mit muntrer jugendlicher Kraft Ergriff er eine Fahn'
Und hielt sie hoch an ihrem Schaft,
Daß wir sie alle sahn.
Und sagte: „Kinder, Berg hinan!
Auf Schanzen und Geschütz!"
Wir folgten alle Mann für Mann,
Geschwinder, wie der Blitz.
Ach, aber unser Vater fiel,
Die Fahne fiel auf ihn,
D welch glorreiches Lebensziel,
Glückseliger Schwerin!
Welche natürliche Siegesgewißheit im Vertrauen auf den großen König erfüllt die letzten Worte des Liedes:
Und weigert sie auf diesen Tag Den Frieden vorzuzichn,
So stürme Friedrich erst ihr Prag Und dann führ' uns nach Wien!
Der Grenadier, der diese Lieder fang, war Gleim, der Anakreontiker! die Tändeleien waren verstummt, die Heldenthaten der Zeit weckten deutschen Heldengesang. Lessing gab die beiden Lieder in eine Zeitschrift und ließ die Bemerkung vorausgehen: „sie könnten beide weder poetischer noch kriegerischer sein, voll der erhabensten Gedanken in dem einfältigsten Ausdruck". Als er ein Jahr später ( 1758 ) den Vorbericht zu den Kriegsliedern des Grenadier schrieb, wollte er vor allem ihren nationalen Charakter erkannt und beherzigt wissen: sie sind nicht nach dem Vorbilde römischer oder griechischer Dichter, sie sind preußisch. Wie hatte man sich früher mit solchen Vergleichungen gütlich gethan, bald sollte oder wollte einer der deutsche Ovid, bald der deutsche Horaz, sogar der deutsche Pindar sein. Dieser Grenadier, so urtheilte Lessing, ist kein deutscher Horaz, kein deutscher Pindar, nicht einmal ein deutscher Tyrtäus, denn die heroischen Gesinnungen sind einem Preußen eben so natürlich als einem Spartaner!